Mittwoch, 16. Juli 2014

Rassismus durch die Hintertür


Sieht so eine typische Roma aus?
Eine Frau läuft aus der Universitätsbibliothek und kauft sich beim Bäcker eine Brezel. Sie trägt einen Rock und eine Bluse. Ihr schwarzes lockiges Haar trägt sie zu einem Zopf. Hätten Sie die Frau als Sinti und Roma erkannt? Vermutlich nicht.
Eine bettelnde Frau steht mit ihrem Kind neben einer Bäckerei. Sie trägt einen bunten Rock und ihr schwarzes Haar trägt sie zu einem Zopf. Hätten Sie die Frau als Sinti und Roma erkannt? Vermutlich schon.


So oder auf ähnliche Weise hat sich das verzerrte Bild der Sinti und Roma, abwertend auch Zigeuner genannt, in unsere Köpfe gebrannt. Doch woher stammen diese Vorurteile?

Diplom Politologe Markus End entwickelte im Auftrag des Dokumentstations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma eine Studie über „Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit. Strategien und Mechanismen medialer Kommunikation“. Der knapp 350 Seiten lange Bericht wurde am 10. Juli in Berlin veröffentlicht.

Das Ergebnis: Vorurteile über Sinti und Roma werden von den Medien ständig produziert und verbreitet. Öffentlich- rechtliche oder Privatsender, FAZ oder Bild, es macht keinen Unterschied. Vorurteile wären zum Beispiel, Roma tragen bunte Röcke und betteln auf der Straße, sie leben in riesigen Müllbergen und arbeiten wollen sie ohnehin nicht.
Diskriminierung funktioniert, aber nicht nur über negative, sondern auch über positive Beispiele erklärt Markus End: „Sieht man in den Medien arbeitende Roma, wird es so dargestellt, als sei das etwas Außergewöhnliches. Das ist ebenso diskriminierend wie die Aussage, alle Roma seien arbeitslos.“
BriefundSiegel im Gespräch mit Markus End über seine Studie.

Herr End, Sie schreiben in Ihrer Studie von der Stereotypisierung von Sinti und Roma durch die Medien. Gibt es noch weitere Instanzen, die dazu beitragen?
Markus End: Die Medien sind natürlich nicht die einzige Instanz. Es gibt auch in der Literatur, im Film oder auch in Fernsehserien vielerlei Beispiele für solche ‚Zigeunerbilder‘. Ich kenne ein Kinderpuzzle, wo das erkennbar ist. Da ist ein Bild von einer Stadt, mit verschiedenen Leuten, die ihren Berufen nachgehen, es gibt eine Stadtmauer und einen Fluss und ganz links unten in der Ecke außerhalb der Stadt das ‚Zigeunerlager‘. Das heißt, die Stereotypen werden tatsächlich über verschiedenste Mittel transportiert.
Ist die „Unwissenheit“ der Menschen über Sinti und Roma das Problem des Antiziganismus?
Ich bin gar nicht so sicher, ob das Unwissenheit ist. Ich glaube, dass es eher um diese verfälschten Projektionen der Sinti und Roma geht, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Insofern glaube ich nicht, dass ein größeres Wissen über Sinti und Roma etwas verbessern, verschlechtern oder verändern würde. Die Nazis, nur als Extrembeispiel, kannten sich sehr gut mit jüdischen Traditionen und mit der jüdischen Kultur aus. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, Antisemiten zu sein.
Produzieren und verbreiten die Medien vorsätzlich antiziganistische Vorurteile oder tun sie es unbewusst?
Rassismus ist ja nichts,
 was wir vorsätzlich
 haben. Also Leute die 
rassistisch sind, denken 
ja, dass diese Dinge, die 
sie da denken, wahr sind.
 Zum Beispiel: „Weil diese
 Personen‚ Zigeuner‘ sind, 
haben sie weniger Lust zu 
arbeiten.“ Die Leute verbreiten also nicht bewusst
 Vorurteile und manchen
 ist auch nicht klar, dass
 das, was sie da schreiben,
 auf Widerspruch stoßen 
könnte. Es gibt aber auch 
solche, die wissen, dass 
das nicht okay ist, aber 
sie schreiben es trotzdem.
 Das merkt man dann daran, dass sie versuchen etwas zu verstecken, oder die eigene Autorenschaft abstreiten.
Warum wird der Rassismus gegen Sinti und Roma im Gegensatz zum Rassismus gegen Juden verharmlost?
Ich glaube, der Antisemitismus ist auch deshalb so stark geächtet, weil er in der Ideologie des Nationalsozialismus im Vordergrund stand. Der Antiziganismus spielte eigentlich eine Nebenrolle. Das heißt nicht, dass es bei der Verfolgung große Unterschiede gab. Beide Gruppen waren letztlich zur Vernichtung vorgesehen, aber trotzdem spielte in der Ideologie und Propaganda der Antisemitismus eine zentralere Rolle als der Antiziganismus. Das ist auch der Grund, warum bei der Aufarbeitung der NS-Zeit der Antisemitismus im Vordergrund stand und stärker geächtet wurde als der Antiziganismus.
Sie sagen, dass die Nationalität oder Ethnie nicht genannt werden soll, wenn sie für das Verständnis unerheblich ist. Nehmen wir aber an, bei bestimmten Verbrechen stellt sich heraus, dass 80 Prozent dieser Verbrechen von Sinti und Roma begangen worden sind. Sollte man das dann nicht benennen?
Es entspricht ja einfach nicht der Realität. Als Beispiel: Bei der Bekämpfung der italienischen Mafia stellt man fest, dass 100 Prozent der angeklagten Mafiosi Katholiken sind. Es sagt aber niemand, dass man Katholiken bekämpfen muss, weil eben nicht jeder Katholik ein Mafioso ist. So sehe ich das auch bei Sinti und Roma. Wenn man feststellen würde, dass eine bestimmte Prozentzahl der Einbrüche von Roma begangen wird, sagt das nichts über die anderen Roma aus. Wie kommt man also darauf, dass zwischen beidem ein kausaler Zusammenhang besteht?
Wie sehen sie die Verbreitung von Vorurteilen in der Zukunft?

Die Bilder sind weit verbreitet und das hat sich auch nicht groß verändert. Vorurteile werden eher geäußert, wenn keine gesellschaftliche Ächtung besteht. Die gesellschaftlichen Normen, was man sagen kann und was nicht, verändern sich langsam zum Besseren, habe ich den Eindruck. Man kann Sachen nicht mehr sagen, die man vor zehn Jahren noch sagen konnte. Damals wurde in Presseberichten noch ganz offen von ‚Zigeunern‘ gesprochen.



Bild: By Björn Schwarz [CC BY 2.0], via Flickr