Freitag, 24. Juli 2015

"In Gaza kann man nicht leben"



Ruine in Beit Hanun, August 2014
Am 26. August jährt sich das Ende der Militäroperation „Protective Edge“. Am 08. Juli 2014 begann der Beschuss des Gazastreifens durch israelische Streitkräfte. Israel erwiderte damit den anhaltenden Raketenbeschuss der radikalislamischen Hamas aus dem Gazastreifen. Am 26. August 2014 endete der Konflikt mit einer unbefristeten Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel. Seitdem ist der Gazastreifen eine Trümmerlandschaft. Rund 18. 000 Häuser wurden vollkommen zerstört. Ein Jahr nach Konfliktende beginnt jetzt der WiederaufbauBislang wurden nur beschädigte Häuser wieder repariert.
Ahmed Abumarahil hat die Ereignisse in seiner Heimat nur über den Fernsehen gesehen. Seit knapp 1 ½ Jahren lebt er in Deutschland. Mit 19 Jahren verließ Ahmed seine Heimat im Gazastreifen. Er hat die Chance bekommen, in Deutschland zu studieren. Ein Privileg in seiner Heimat.


Wie muss man sich das Studieren in Gaza vorstellen?
Die Universitäten in Gaza sind nicht gut. Aber kaum einer kann zum Studieren ins Ausland. Das wichtigste ist Geld. Und dass man Verwandte in dem Land hat, in dem man studieren will. Ich habe ein paar Verwandte in Deutschland. Mein Onkel arbeitet in Mainz als Arzt und mein Großvater ist Professor an der Universität Marburg. Sie unterstützen mich hier in Deutschland finanziell. Die wenigsten haben die Möglichkeiten, die ich habe.

Was machen diejenigen, die in Gaza bleiben?
Die Mehrheit in meinem Alter macht nichts. Sie sitzen einfach auf der Straße. Sie haben keine Chance, etwas in Gaza zu machen.
Vier Monate dauert es für ihn nach
Gaza ein- und auszureisen

Woran liegt das?
Weil Gaza besetzt ist und es fast jedes Jahr Krieg mit Israel gibt. Es gibt dort auch keine Arbeit. Mein Vater zum Beispiel: Er arbeitet seit drei Jahren nicht mehr. Er ist Ingenieur, aber durch die Handelsblockade von Israel hat er keine Materialen für seine Arbeit. Selbst diejenigen, die studiert haben, bekommen keine Arbeit. Die Leute in meinem Alter fragen sich, warum soll ich dann überhaupt
studieren? Für was denn? Also studiert dort auch keiner. Das hat schlimme Folgen.

Möchtest du nach dem Studium wieder zurück nach Gaza?
Ich möchte eigentlich zurückgehen, damit ich etwas für mein Land tun kann. Aber das Reisen nach Gaza ist ein kompliziertes Thema.

Kannst du das genauer erklären?
Alle drei Monate werden die Grenzen in Gaza nur für einen Tag geöffnet. Wenn ich nach Gaza fliegen wollte, bräuchte ich mindestens vier Monate, damit ich reinkommen und wieder rausgehen kann. Das ist ein Semester, das ich verpassen würde.

Wie siehst du die Zukunft deines Landes?
In Gaza kann man nicht leben. Du hast jeden Tag nur für ein paar Stunden Strom, du findest keine Arbeit und du kannst nicht frei ein- und ausreisen. Meine Heimatstadt, Al-Nuseirat, liegt in der Mitte des Gazastreifens und ist im Krieg eigentlich immer sicherer gewesen als Gaza-Stadt im Norden oder Chan Yunis im Süden. Aber beim Krieg letzten Sommer war meine Region am schlimmsten betroffen. Es war das erste Mal, dass bei uns Bomben eingeschlagen sind. Das ist Wahnsinn. Meine Generation will so nicht leben. Ich hoffe, die Situation wird sich verbessern.


Lage: Der Gazastreifen ist ein Küstengebiet zwischen Israel und Ägypten. Mit 360 Quadratkilometer ist der Gazastreifen fast so groß wie Köln, hat aber mit 1,8 Million Einwohnern nahezu doppelt so viele. Die Hauptstadt ist Gaza-Stadt.


Geschichte: Der Gazastreifen gehört mit dem Westjordanland zu den Palästinensischen Autonomiegebieten, die seit dem Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt sind. 2005 zog sich Israel aus der Region zurück, kontrolliert aber seitdem die Grenzen zu Land, Luft und See. Seit 1964 vertritt die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) die Interessen der Palästinenser. Die beiden stärksten Parteien sind die säkular ausgerichtete Fatah und die radikalislamische Hamas. Seit 2006 regiert die Fatah im Westjordanland, die Hamas im Gazastreifen. Der bürgerkriegsähnliche Hamas-Fatah-Konflikt 2007 führte zu einer Spaltung der Palästinensischen Autonomiegebiete. 2014 schlossen beide Parteien einen Versöhnungspakt, um eine Einheitsregierung zu bilden. Auslöser des letztjährigen Krieges war die Ermordung von drei israelischen Jugendlichen und der mutmaßliche Rachemord an einem Palästinenser. Die Verhandlungen der palästinensischen Parteien zur Bildung einer gemeinsamen Regierung wurden eingestellt und eine unbefristete Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas festgelegt.





Bild: By B'Tselem [CC BY 3.0], via btselem.org
Bild: By Niklas Feil

Graphik: By Lencer [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Donnerstag, 4. Juni 2015

Zeit für einen Neuanfang


Neuer Name, neues Logo, derselbe Nicolas Sarkozy
Die Partei von Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy bekommt einen frischen Anstrich. Rund 200.000 Mitglieder der konservativen Oppositionspartei UMP (Union pour un mouvement populaire – Union für eine Volksbewegung) durften vergangene Woche im Internet über den neuen Namen der Partei abstimmen. Der von Sarkozy gewünschte Name konnte auch den Rest der Mannschaft überzeugen. Die UMP heißt von nun an: Les Républicains – Die Republikaner. Der Wahlkampf für das Amt des Staatspräsidenten 2017 hat begonnen. 



Drei Jahre nach seiner Wahlniederlage, will Sarkozy wieder zurück an den Schreibtisch im Élysée-Palast. Doch dafür muss das Image wieder aufpoliert werden. Die Umbenennung soll den Ballast abwerfen, der sich in den letzten Jahren bei der Partei, insbesondere bei Sarkozy selbst, angehäuft hatte: Verdacht der Korruption, illegale Parteispenden und die Einflussnahme auf ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren. Der Umbau der Partei soll vor allem von seinen eigenen juristischen Problemen ablenken.

Auf dem Parteitag am vergangen Samstag hielt Nicolas Sarkozy auch schon seine erste Wahlkampfrede. Oder besser gesagt, es war eine Abrechnung mit der Parti socialiste (Sozialistische Partei) von Präsident François Hollande. Frankreich dürfe nicht vor der Wahl stehen "zwischen der furchteinflößenden Familiensaga der Le Pens und der erschreckenden Armseligkeit des derzeitigen Präsidenten", meinte er während seiner einstündigen Rede.

Der Kuchen wird in Frankreich nicht mehr unter zwei, sondern unter drei Parteien aufgeteilt. Und während das Stück von Sarkozys Republikanern und Hollandes Sozialisten immer kleiner wird, wächst das Stück des rechtspopulistischen Front National von Marine Le Pen kontinuierlich weiter. Der Wahlkampf für das Präsidentenamt 2017 wird vermutlich zwischen den Republikanern und dem Front National ausgetragen werden. Präsident Hollande wird keine zweite Amtszeit zugetraut. Geschweige denn, jemand anderem aus seiner Partei. Kein Präsident der Grand Nation war bisher so unpopulär wie François Hollande. Klar, dass auch Nicolas Sarkozy die Frustration der Bürger über Hollande und seiner Partei zum Thema seiner Rede machte: "Hätten Sie nicht die Republik verraten, sie nicht verlassen, sie nicht erniedrigt, dann bräuchten wir die französische Republik heute nicht wieder aufzurichten."

Auch der Front National von Marine le Pen will Frankreich wieder ganz oben sehen. Aber am besten ohne die lästigen Ausländer und dem Euro. Le Pens politische Positionen, wie Kürzungen der Sozialhilfe für Nichtfranzosen, Beschränkung der Zuwanderung und den Ausstieg aus dem Euro, finden in der französischen Gesellschaft Gehör. Ihre nationalen Wahlerfolge zeigen, dass sie den Frust der Franzosen bestens zu nutzen weiß. Im Vergleich zu ihrem Vater Jean-Marie le Pen, der die Gaskammern des Dritten Reichs als „Detail der Geschichte“ bezeichnet, betreibt sie Extremismus durch die Hintertür. Sie äußert sich nicht rassistisch, aber einwanderungskritisch; nicht anti-europäisch, aber EU-kritisch. Die Gefahr besteht darin, dass ihr Populismus konsensfähig wird, und gemäßigte Wähler nach rechts abdriften werden, wo Marine Le Pen sie mit offenen Armen empfangen wird. Sie ist längst nicht mehr nur eine Bedrohung für Frankreich, sondern für ganz Europa.

Ein Wahlsieg von Nicolas Sarkozy würde auch im Interesse von Bundeskanzlerin Angela Merkel liegen. Schon während der europäischen Finanzkrise kämpften die beiden Seite an Seite gegen den Zusammenbruch des Euros. Nun ist es an der Zeit, Europa vor den Mächten der populistischen Parteien zu schützen. Das Gespann „Merkozy“ ist bereit für neue Abenteuer.




Bild By: UMP Photos [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr

Donnerstag, 30. April 2015

Das Schweigen der Eliten



Dunkle Wolken ziehen über dem Bundestag auf – Skandale und
Falschaussagen bestimmen zurzeit den politischen Betrieb
Was kann man der Bundesregierung noch glauben? Schaut man sich die jüngsten Ereignisse an, eigentlich nicht mehr viel.

Ein „Präzisionsproblem“ hatte es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen genannt. Das G36, die Standardwaffe der Bundeswehr, trifft nicht mehr. Schießt man zu oft hintereinander oder ist die Waffe der Sonne ausgesetzt, gehen die Schüsse am Ziel vorbei. Inzwischen hat von der Leyen zugegeben, dass das G36 nicht mehr zu gebrauchen ist. Der Fehler ist nach den Untersuchungen der WTD91, der technischen Prüfstelle für Waffen und Munition, bereits seit 2011 bekannt. Trotzdem bestellte Ursula von der Leyen erst im Mai 2014 noch knapp 4000 weitere G36. Die Bundeswehr hat jetzt Marinehubschrauber, die nicht mehr übers Meer fliegen dürfen, weil die salzige Meeresluft sie sonst zum Rosten bringt, Kampf- und Transportflugzeuge, die nirgendwohin fliegen können und ein Gewehr, das nicht richtig schießen kann.

Der eigentliche Skandal ist allerdings das Verhalten der verantwortlichen Politiker im Verteidigungsministerium. Die Probleme sind lange bekannt, aber statt Konsequenzen zu ziehen, werden die Dinge über Jahre beschönigt oder verschwiegen. Die Geheimhaltung ist wichtiger als der Schutz der eigenen Streitkräfte. Das Verteidigungsministerium geht leichtfertig mit dem Leben deutscher Soldaten um, damit der eigene Ruf nicht beschädigt wird.

Ausreden und Lügen lassen sich auch in den höchsten Kreisen deutscher Politik finden. Wie kürzlich aufgedeckt worden ist, half der Bundesnachrichtendienst den USA bei der Wirtschaftsspionage europäischer Unternehmen. Das Kanzleramt wusste davon, blieb regungslos, und streitet dies auch noch ab. "Nein. Es liegen weiterhin keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder anderen US-Diensten in anderen Staaten vor", behauptete Innenminister Thomas de Maizière noch vor zwei Wochen gegenüber dem Bundestag. Mittlerweile hat die Bundesregierung bestätigt, dass der Bundesnachrichtendienst das Kanzleramt bereits 2008 über die Wirtschaftsspionage der Amerikaner informiert hatte.

Und jetzt auch noch das: Der Bundesnachrichtendienst soll dem amerikanischen Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben die französische Regierung und EU-Politiker in Brüssel auszuspähen. Und zwar mit Hilfe der Abhöranlagen des BND im bayrischen Bad Aibling. Die Bundesregierung hängt in dieser ganzen Ausspäh-Geschichte viel tiefer drin als sie es zugeben möchte. „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“, hatte Angela Merkel mal gesagt. Peinlich so etwas.

Hatte die Bundeskanzlerin im Wahlkampf 2013 gegenüber Peer Steinbrück nicht auch erwähnt, mit ihr würde es keine PKW-Maut geben? Auch gelogen!

Die PKW-Maut ist beschlossen. Ab 2016 sollen Ausländer zur Kasse gebeten werden, wenn sie mit dem Auto durch Deutschland fahren. Deutsche Autofahrer müssen nichts zahlen. Die KFZ-Steuer wird um den gleichen Betrag wie die Maut gesenkt. Die Einnahmen der „Ausländermaut“ fließen in den Straßen- und Brückenbau.

Selbst wenn die von Verkehrsminister Alexander Dobrindt vorhergesagten Einnahmen über 500 Millionen Euro pro Jahr korrekt sein sollten, und nicht wie von vielen Seiten behauptet wird viel zu hoch angesetzt sind, reicht das trotzdem hinten und vorne nicht. Alleine das Straßennetz zu erhalten, kostet über 7 Milliarden Euro – nur für den Erhalt!


Doch daraus wird vermutlich sowieso nichts. Der Europäische Gerichtshof wird die Ausländermaut abweisen. Grund: Benachteiligung – das verstößt gegen den Grundsatz nach dem alle EU-Bürger gleich behandelt werden sollen. Doch das würde der Bundesregierung sogar entgegenkommen. Dann würden am Ende alle zahlen – auch der deutsche Staatsbürger. Die Bundesregierung könnte sich schön aus der Verantwortung ziehen. Der Gerichtshof hat es ja so entschieden. Kann man leider nichts machen. Und die politischen Eliten hätten die Bevölkerung wieder geschickt an der Nase herumgeführt.



Bild: By Andy Ducker [CC BY-NC 2.0], via Flickr