Samstag, 14. Februar 2015

Landnahme im Westjordanland


Dauerkonflikt Siedlungsbau:
In der Nähe von Bethlehem, Westjordanland
Die Lösung des Nahost-Konflikts ist mit einer voranschreitenden Siedlungspolitik Israels unmöglich. Die israelische Regierung, aber auch die hartnäckigen, ultra-religiösen Siedler selbst, zerstören mit ihren Einstellungen zu den Siedlungen jegliche Möglichkeit für eine Lösung des Nahost-Konflikts. Kein Ministerpräsident Israels kann es sich leisten bei der einflussreichen Siedlerlobby in Missgunst zu fallen. Seit 1977, als die rechte Likud Partei zum ersten Mal die Regierung in Israel stellte, gehört die Besiedlung der besetzten Gebiete zur Regierungspolitik. Bis heute hat sich wenig geändert. Die jetzige israelische Regierung der Rechten unter Premierminister Benjamin Netanjahu sichert sich mit den Subventionen für die Siedlungen auch die Wählerstimmen der einflussreichen Siedlergruppierungen, der landwirtschaftlichen Lobbyisten und der allgemeinen rechten Wählerschaft. Ende Januar hat Netanjahu nach Angaben der israelischen Friedensbewegung Schalom Achschaw (deutsch Frieden jetzt) dem Bau von circa 450 Wohneinheiten im besetzten Westjordanland zugestimmt.  Ein weiteres Zugeständnis für die Siedlergruppierungen und ein weiteres Hindernis im Friedensprozess. Brief&Siegel im Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler William Cohen*, der 12 Jahre lang in Israel gelebt hat, über die Situation im Nahen Osten.


Brief&Siegel: Warum haben Sie Israel verlassen?
William Cohen: Das erste Mal bin ich nach Neuseeland zurückgegangen. Das zweite Mal habe ich Israel verlassen, weil ich nicht mehr dort leben wollte. Das dritte Mal habe ich Israel verlassen, weil es dort zu heiß ist und ich dort nicht mehr leben wollte.

Begleitet der Nahost-Konflikt Sie heute in irgendeiner Weise?
Der Konflikt beeinflusst mich nicht persönlich, aber ich habe Freunde und Kinder die in Israel leben und deswegen bin ich über die Auswirkungen besorgt, die der Konflikt auf ihre Zukunft und Chancen hat.

Wie ist Ihre Einstellung zu den Palästinensern?
Ich habe keine persönlichen Vorurteile gegenüber den Palästinensern. Der Zugang zu Informationen, die es ihnen ermöglichen, sich eine ausgewogene Meinung über die Ursachen des Konflikts und inwiefern dieser Konflikt beendet werden kann, zu bilden, ist für normale Palästinenser eingeschränkter als für diejenigen, die außerhalb von Palästina leben. Trotzdem scheint es mir, dass bis jetzt, im Westen und im Nahen Osten, über den Konflikt und seine Ursachen so viel Mist geschrieben worden ist, dass es schwer ist sich vorzustellen, wie der Konflikt jemals beendet werden könnte.

Waren Sie schon einmal im Westjordanland/Gazastreifen? Was waren Ihre Eindrücke von der dortigen Lebenslage?
Ich war im Westjordanland und bin oft durchgefahren. Die Lebensumstände, die ich beobachten konnte, scheinen sich nicht von denen zu unterscheiden, die in den meisten nahöstlichen Ländern herrschen. Ich bin auch durch die Türkei, Afghanistan und den Iran gefahren. Die Lebensumstände im Westjordanland scheinen denen jener Länder zu ähneln und sind manchmal auch besser, als in vielen anderen Ländern des Nahen Ostens.

Was ist Ihre Meinung zur israelischen Regierung?
Da bin ich sehr zwiegespalten. Jede Koalition muss so viele gegensätzliche Erwartungen zufrieden stellen, dass das typische Ergebnis ein Stillstand ist: Eine Fortsetzung des Status quo. Aber auch wenn es ein klares Mandat für eine Veränderung geben würde, wo sind die Partner der palästinensischen Seite, die eine vollstreckbare Vereinbarung liefern könnten?

Welche Rolle spielen die jüdischen Siedlungen und die Sperranlagen im Friedensprozess?
Die Realität ist, dass die palästinensische Regierung, so wie sie momentan ist, sich schwer tut, ein klares Mandat für die Art von Eingeständnissen zu bilden, die Israel das Gefühl geben, dass sie wirklich in Frieden leben wollen. Siedlungen sind eine Form von politischem Druck. Sie sagen: kommt an den Tisch und gebt uns eine echte Friedensvereinbarung und wir werden aufhören euer Land zu nehmen. Tut nichts und ihr werdet die Folgen tragen. Das nennt man harte Politik. Das ist nicht was die Liberalen gerne hören, aber das ist das, was die meisten Konfliktausgänge bestimmt.

Welche Rolle spielen Jerusalem und die Religionen in diesem Konflikt?
Jerusalem und die Religionen spielen eine sehr emotionale Rolle – sie tendieren dazu die wirklichen Probleme des Konflikts zu verschleiern und füttern die Bestrebungen von Fanatikern auf beiden Seiten.

Wie schätzen Sie die palästinensischen Parteien Hamas und die Fatah ein? Leisten sie wirklich etwas für ihre Bevölkerung oder kaufen sie mit den Hilfsgeldern lieber Waffen, um Israel anzugreifen?
Wenn nicht mit Hilfe, woher dann die Waffen? Die Lebensweise und Propaganda beider Organisationen deuten an, dass sie ihre eigentliche Daseinsberechtigung längst hinter sich gelassen haben. Jetzt, da der Konflikt dazu dient ihnen ein gutes Leben und kontinuierliche Macht bereitzustellen, hat er ein eigenes Leben angenommen. Was würden sie tun, wenn der Konflikt enden würde? Die Kontinuität liefert ihnen Macht und Privilegien; eine demokratische Friedensvereinbarung würde sie irrelevant machen.

Führt die starre Haltung Israels, was die Missachtung von UN-Resolutionen angeht, nicht zwangsläufig zu einer politischen Isolierung?
Welche Haltung sollte Israel, angesichts der Struktur der UN und der dazugehörigen Mehrheit gegen jede befriedigende Lösung, abgesehen von der Eliminierung des Staates Israel, einnehmen? Die UN ist ein lächerliches und teures Märchenspiel. Israel hat überhaupt nichts davon, wenn es den Forderungen der UN-Vertreter nachkommt.

Verstehen Sie Israel-Kritik als eine Form von Antisemitismus?
In vielen Fällen, ja. Basierend auf den aktuellen Nachrichten, ist es für normale Menschen fast unmöglich sich eine echte und ausgeglichene Meinung über das warum und wofür des Konfliktes zu bilden. Für die, die daran beteiligt sind, ist es auch schwer einen Schritt zurück zu treten und eine ausgeglichene Meinung einzunehmen. Das Fehlen von Ausgeglichenheit in der Presse und die schwere Einseitigkeit gegenüber Israel, schlägt eine antisemitische Haltung vor.

Was ist Ihre Meinung zu Jassir Arafat? War er ein Vorantreiber für den Frieden oder war er ein Terrorist, wie er so oft dargestellt wird?
Arafat hatte eine nationalistische Agenda, aber nicht die Mittel diese zu verfolgen. Clausewitz hat es richtig gesagt: Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wenn es keine Möglichkeit gibt die Ziele durch friedliche Verhandlungen zu erreichen, dann ist irgendein Krieg die einzige andere Option, abgesehen von Abdankung. Wenn du Menschen wie Arafat stoppen willst, musst du entweder den Krieg gegen sie gewinnen oder dich hinsetzen und verhandeln. In diesem Sinne hat Arafat sehr effektiv Krieg geführt, mit sehr begrenzten Möglichkeiten.

Die letzten Konflikte im Juli, August und im November 2014. Was ist Ihre Meinung zu den gewältigten Auseinandersetzungen?

Israels Versuch, das gelegentliche Raketenfeuer aus dem Gazastreifen zu ignorieren, hat es, durch die ansteigende Häufigkeit und Effektivität des Raketenbeschusses, schließlich auf die Zerreißprobe gestellt. Das Gemecker westlicher Beobachter über die Unangemessenheit von Israels militärischer Antwort weist wieder auf das Durcheinander und den Unsinn hin, die von vielen westlichen Beobachtern propagiert werden. Was würden sie tun, wenn sie in einer ähnlichen Lage wären? Genau das, was Israel getan hat. Den Konflikt so schnell wie möglich und mit allen möglichen verfügbaren Mitteln beenden. Und wieder, wenn Länder im Krieg sind, ist das einzige Ziel so gewaltsam und so schnell wie möglich zu gewinnen. Es war kein Krieg, den Israel erzeugt hat und angesichts des von der Hamas ausgesprochenen und erklärtem Ziel, Israel zu zerstören und all seine Bürger zu töten, wäre Israel töricht gewesen, solch erklärte Ziele auf die leichte Schulter zu nehmen.

Wie wahrscheinlich ist eine Dritte Intifada?
Schwer zu sagen. Es gibt noch keine klaren Anzeichen, dass eine weitere Intifada kommt, aber wie immer, die einzige vorhersehbare Sache, die man über den arabisch-israelischen Konflikt sagen kann, ist, dass er wahrscheinlich noch eine lange Zeit andauern wird. Solange arabische Nationen ihre hartnäckige Außenpolitik mit Ölgeld finanzieren können, wird wohl kaum eine echte Suche nach friedlichen Lösungen stattfinden.

Ist Frieden zwischen Israelis und Palästinenser also in absehbarer Zeit nicht möglich?
Nein, solange die Palästinenser eine Marionette der arabischen Nationen bleiben, die keine moderne industrielle Demokratie nach westlichem Vorbild in ihrer Mitte gutheißen. Beide Länder hätten allerdings mehr von einer friedlichen Koexistenz, als von kontinuierlicher Feindseligkeit. Momentan sehen nur die Israelis einen klaren Vorteil in der Beendigung der Feindseligkeiten. Die meisten arabischen Herrscher sehen mehr politischen Vorteil darin, der hasserfüllten Stimmung nachzugeben, als eine konstruktive Außenpolitik zu initiieren, die auf dem Modell basiert, das Europa seit dem Chaos und der Zerstörung der zwei Weltkriege kennzeichnet.




*Name zum Schutz der Privatsphäre geändert


Bild: By Jay Voorhees [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr