![]() |
Dauerkonflikt Siedlungsbau: In der Nähe von Bethlehem, Westjordanland |
Die Lösung des
Nahost-Konflikts ist mit einer voranschreitenden Siedlungspolitik Israels
unmöglich. Die israelische Regierung, aber auch die hartnäckigen,
ultra-religiösen Siedler selbst, zerstören mit ihren Einstellungen zu den
Siedlungen jegliche Möglichkeit für eine Lösung des Nahost-Konflikts. Kein
Ministerpräsident Israels kann es sich leisten bei der einflussreichen
Siedlerlobby in Missgunst zu fallen. Seit 1977, als die rechte Likud Partei zum
ersten Mal die Regierung in Israel stellte, gehört die Besiedlung der besetzten
Gebiete zur Regierungspolitik. Bis heute hat sich wenig geändert. Die
jetzige israelische Regierung der Rechten unter Premierminister Benjamin Netanjahu
sichert sich mit den Subventionen für die Siedlungen auch die Wählerstimmen der
einflussreichen Siedlergruppierungen, der landwirtschaftlichen Lobbyisten und
der allgemeinen rechten Wählerschaft. Ende Januar hat Netanjahu nach Angaben
der israelischen Friedensbewegung Schalom Achschaw (deutsch Frieden jetzt) dem Bau von circa 450 Wohneinheiten im
besetzten Westjordanland zugestimmt. Ein
weiteres Zugeständnis für die Siedlergruppierungen und ein weiteres Hindernis
im Friedensprozess. Brief&Siegel im
Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler William Cohen*, der 12 Jahre lang
in Israel gelebt hat, über die Situation im Nahen Osten.
Brief&Siegel: Warum haben Sie Israel
verlassen?
William Cohen: Das erste Mal bin ich nach Neuseeland zurückgegangen. Das zweite Mal
habe ich Israel verlassen, weil ich nicht mehr dort leben wollte. Das dritte
Mal habe ich Israel verlassen, weil es dort zu heiß ist und ich dort nicht mehr
leben wollte.
Begleitet der Nahost-Konflikt Sie heute in
irgendeiner Weise?
Der Konflikt beeinflusst mich nicht persönlich, aber
ich habe Freunde und Kinder die in Israel leben und deswegen bin ich über die
Auswirkungen besorgt, die der Konflikt auf ihre Zukunft und Chancen hat.
Wie ist Ihre Einstellung zu den
Palästinensern?
Ich habe keine persönlichen Vorurteile gegenüber den
Palästinensern. Der Zugang zu Informationen, die es ihnen ermöglichen, sich
eine ausgewogene Meinung über die Ursachen des Konflikts und inwiefern dieser
Konflikt beendet werden kann, zu bilden, ist für normale Palästinenser eingeschränkter
als für diejenigen, die außerhalb von Palästina leben. Trotzdem scheint es mir,
dass bis jetzt, im Westen und im Nahen Osten, über den Konflikt und seine
Ursachen so viel Mist geschrieben worden ist, dass es schwer ist sich
vorzustellen, wie der Konflikt jemals beendet werden könnte.
Waren Sie schon einmal im Westjordanland/Gazastreifen?
Was waren Ihre Eindrücke von der dortigen Lebenslage?
Ich war im Westjordanland und bin oft durchgefahren.
Die Lebensumstände, die ich beobachten konnte, scheinen sich nicht von denen zu
unterscheiden, die in den meisten nahöstlichen Ländern herrschen. Ich bin auch
durch die Türkei, Afghanistan und den Iran gefahren. Die Lebensumstände im
Westjordanland scheinen denen jener Länder zu ähneln und sind manchmal auch
besser, als in vielen anderen Ländern des Nahen Ostens.
Was ist Ihre Meinung zur israelischen
Regierung?
Da bin ich sehr zwiegespalten. Jede Koalition muss so
viele gegensätzliche Erwartungen zufrieden stellen, dass das typische Ergebnis
ein Stillstand ist: Eine Fortsetzung des Status quo. Aber auch wenn es ein
klares Mandat für eine Veränderung geben würde, wo sind die Partner der
palästinensischen Seite, die eine vollstreckbare Vereinbarung liefern könnten?
Welche Rolle spielen die jüdischen Siedlungen und die
Sperranlagen im Friedensprozess?
Die Realität ist, dass die palästinensische Regierung,
so wie sie momentan ist, sich schwer tut, ein klares Mandat für die Art von
Eingeständnissen zu bilden, die Israel das Gefühl geben, dass sie wirklich in
Frieden leben wollen. Siedlungen sind eine Form von politischem Druck. Sie
sagen: kommt an den Tisch und gebt uns eine echte Friedensvereinbarung und wir
werden aufhören euer Land zu nehmen. Tut nichts und ihr werdet die Folgen
tragen. Das nennt man harte Politik. Das ist nicht was die Liberalen gerne
hören, aber das ist das, was die meisten Konfliktausgänge bestimmt.
Welche Rolle spielen Jerusalem und die
Religionen in diesem Konflikt?
Jerusalem und die Religionen spielen eine sehr
emotionale Rolle – sie tendieren dazu die wirklichen Probleme des Konflikts zu
verschleiern und füttern die Bestrebungen von Fanatikern auf beiden Seiten.
Wie schätzen Sie die palästinensischen Parteien Hamas und die Fatah ein? Leisten
sie wirklich etwas für ihre Bevölkerung oder kaufen sie mit den Hilfsgeldern
lieber Waffen, um Israel anzugreifen?
Wenn nicht mit Hilfe, woher dann die Waffen? Die
Lebensweise und Propaganda beider Organisationen deuten an, dass sie ihre
eigentliche Daseinsberechtigung längst hinter sich gelassen haben. Jetzt, da
der Konflikt dazu dient ihnen ein gutes Leben und kontinuierliche Macht
bereitzustellen, hat er ein eigenes Leben angenommen. Was würden sie tun, wenn
der Konflikt enden würde? Die Kontinuität liefert ihnen Macht und Privilegien;
eine demokratische Friedensvereinbarung würde sie irrelevant machen.
Führt die starre Haltung Israels, was die Missachtung
von UN-Resolutionen angeht, nicht zwangsläufig zu einer politischen Isolierung?
Welche Haltung sollte Israel, angesichts der Struktur
der UN und der dazugehörigen Mehrheit gegen jede befriedigende Lösung,
abgesehen von der Eliminierung des Staates Israel, einnehmen? Die UN ist ein
lächerliches und teures Märchenspiel. Israel hat überhaupt nichts davon, wenn
es den Forderungen der UN-Vertreter nachkommt.
Verstehen Sie Israel-Kritik als eine Form
von Antisemitismus?
In vielen Fällen, ja. Basierend auf den aktuellen
Nachrichten, ist es für normale Menschen fast unmöglich sich eine echte und
ausgeglichene Meinung über das warum und wofür des Konfliktes zu bilden. Für
die, die daran beteiligt sind, ist es auch schwer einen Schritt zurück zu
treten und eine ausgeglichene Meinung einzunehmen. Das Fehlen von
Ausgeglichenheit in der Presse und die schwere Einseitigkeit gegenüber Israel,
schlägt eine antisemitische Haltung vor.
Was ist Ihre Meinung zu Jassir Arafat? War er ein
Vorantreiber für den Frieden oder war er ein Terrorist, wie er so oft
dargestellt wird?
Arafat hatte eine nationalistische Agenda, aber nicht
die Mittel diese zu verfolgen. Clausewitz hat es richtig gesagt: Der Krieg ist
eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wenn es keine
Möglichkeit gibt die Ziele durch friedliche Verhandlungen zu erreichen, dann
ist irgendein Krieg die einzige andere Option, abgesehen von Abdankung. Wenn du
Menschen wie Arafat stoppen willst, musst du entweder den Krieg gegen sie
gewinnen oder dich hinsetzen und verhandeln. In diesem Sinne hat Arafat sehr
effektiv Krieg geführt, mit sehr begrenzten Möglichkeiten.
Die letzten Konflikte im Juli, August und im November
2014. Was ist Ihre Meinung zu den gewältigten Auseinandersetzungen?
Israels Versuch, das gelegentliche Raketenfeuer aus dem
Gazastreifen zu ignorieren, hat es, durch die ansteigende Häufigkeit und
Effektivität des Raketenbeschusses, schließlich auf die Zerreißprobe gestellt.
Das Gemecker westlicher Beobachter über die Unangemessenheit von Israels
militärischer Antwort weist wieder auf das Durcheinander und den Unsinn hin,
die von vielen westlichen Beobachtern propagiert werden. Was würden sie tun,
wenn sie in einer ähnlichen Lage wären? Genau das, was Israel getan hat. Den
Konflikt so schnell wie möglich und mit allen möglichen verfügbaren Mitteln
beenden. Und wieder, wenn Länder im Krieg sind, ist das einzige Ziel so
gewaltsam und so schnell wie möglich zu gewinnen. Es war kein Krieg, den Israel
erzeugt hat und angesichts des von der Hamas ausgesprochenen und erklärtem
Ziel, Israel zu zerstören und all seine Bürger zu töten, wäre Israel töricht
gewesen, solch erklärte Ziele auf die leichte Schulter zu nehmen.
Wie wahrscheinlich ist eine Dritte Intifada?
Schwer zu sagen. Es gibt noch keine klaren Anzeichen,
dass eine weitere Intifada kommt, aber wie immer, die einzige vorhersehbare
Sache, die man über den arabisch-israelischen Konflikt sagen kann, ist, dass er
wahrscheinlich noch eine lange Zeit andauern wird. Solange arabische Nationen
ihre hartnäckige Außenpolitik mit Ölgeld finanzieren können, wird wohl kaum
eine echte Suche nach friedlichen Lösungen stattfinden.
Ist Frieden zwischen Israelis und Palästinenser also in absehbarer Zeit nicht möglich?
Nein, solange die Palästinenser eine Marionette der
arabischen Nationen bleiben, die keine moderne industrielle Demokratie nach
westlichem Vorbild in ihrer Mitte gutheißen. Beide Länder hätten allerdings
mehr von einer friedlichen Koexistenz, als von kontinuierlicher Feindseligkeit.
Momentan sehen nur die Israelis einen klaren Vorteil in der Beendigung der
Feindseligkeiten. Die meisten arabischen Herrscher sehen mehr politischen
Vorteil darin, der hasserfüllten Stimmung nachzugeben, als eine konstruktive
Außenpolitik zu initiieren, die auf dem Modell basiert, das Europa seit dem
Chaos und der Zerstörung der zwei Weltkriege kennzeichnet.
*Name zum Schutz der Privatsphäre geändert
Bild: By Jay Voorhees [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen