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Die Pfingstbewegung aus den USA |
Ultrakonservative
Glaubensgrundsätze und eine wörtliche Auslegung der Bibel. Wer sich nicht daran
hält, wird ausgeschlossen. Die „Zungenrede“ als Möglichkeit zu Gott zu finden
und die permanente Drohung in die Hölle zu kommen. Brief&Siegel im Gespräch mit dem
Aussteiger Sebastian*, der 27 Jahre lang Mitglied einer Pfingstgemeinde war.
Du warst
Mitglied in einer sogenannten „Pfingstgemeinde.“ Was darf man sich darunter
vorstellen?
Sebastian: Das ist eine
freie Gemeinde, die sich durch ein wörtliches Verständnis der Bibel auszeichnen.
Ähnlich wie die Evangelikalen in den USA.
Und du warst
Mitglied in der Brüderschaft der Freien
Evangeliums Christen Gemeinden. Ist
das eine Untergruppe?
Das ist ein Bund
zu der verschiedene Tochtergemeinden gehören und hierarchisch geordnet sind. Da
gibt es einen Ober- Bischof, Unter- Bischöfe und jede Gemeinde hat ihren
Pastor.
Ist das dieser
sogenannte „Älteste“?
Ältester kann
synonym sein für Bischof, Pastor, oder Diakon.
Auf der
Internetseite der Brüderschaft steht, dass der Älteste sich durch Treue und
Reife im Glauben für dieses Amt qualifiziert. Wie darf man das verstehen?
Es ist so, dass
diese Ältesten- Funktion den Männern vorbehalten ist, weil es in der Bibel
so steht, dass nur Männer das machen dürfen. Der Älteste muss sehr konform mit
den Kirchenlehren sein. Treu im Glauben heißt, dass er gegen die biblischen
Glaubensregeln nicht verstoßen darf. Zum Beispiel kein Sex vor der Ehe, oder
Verbot des Ehebruchs. Wenn jemand dagegen verstößt, disqualifiziert er sich
automatisch für diesen Job.
Wird dieser Mann
dann aus der Gemeinde ausgeschlossen, oder kann er lediglich kein Ältester mehr
werden?
Es kommt darauf
an, was er gemacht hat. Wenn es eine Kleinigkeit ist, dann gibt es eine Art
Verwarnung. Einmal im Monat gibt es für die Mitglieder eine
Mitgliederversammlung. Vollwertiges Mitglied mit Mitspracherecht bist du erst
nach deiner Wassertaufe. Wenn jetzt ein Mitglied gegen die Regeln der Gemeinde
verstößt, dann wird das auf der Mitgliederversammlung bekannt gegeben. Dann heißt
es zum Beispiel: Hans Müller wurde beim Rumknutschen erwischt. Das läuft dann
unter Hurerei.
Man wird also
bloßgestellt?
Es kommt auf das
Vergehen an. Wenn man mal betrunken war, dann kann das intern geregelt werden,
nur mit dem Pastor. Wenn man zum Beispiel zur Beichte geht. Aber wenn das
Vergehen irgendetwas mit Sex zu tun hat, dann wird das bekannt gegeben und
dafür wirst du ausgeschlossen aus der Gemeinde. Jedes Mitglied weiß dann
Bescheid und sollte von nun an keinen Umgang mehr mit dir haben. Du kannst aber
auch Buße tun und sagen, dass es dir Leid tut, und nach einer gewissen Frist,
nach Wochen oder Monaten, je nachdem wie du dich anstrengst, wirst du wieder
aufgenommen.
Du hast gerade von
der Wassertaufe gesprochen. Wie sehen die religiösen Praktiken der Gemeinde
aus?
Eine übliche
Praktik ist die „Zungenrede“. Das wird als eine Art Geistesgabe angesehen, sozusagen
ein Geschenk von Gott an dich. Das kannst du im Prinzip jederzeit bekommen,
wenn du dich darum bemühst, wenn du darum betest. Die meisten bekommen es im Jugendalter. Es ist wird auch gewünscht, dass du die
Geistestaufe, also das Reden in Zungen, erhältst, bevor du die Wassertaufe
machst, also bevor du Mitglied wirst. Die Zungenrede klingt von Person zu
Person unterschiedlich. Bei manchen ist es nur so ein Lallen, bei manchen
klingt es wie eine eigene Sprache.
Hast du auch die
Zungenrede praktiziert?
Ich hatte das
einmal kurz, als ich vor meiner Wassertaufe darum gebetet habe. So eine Art
mystisches Erlebnis. Das war noch in einer Zeit in der ich fest daran geglaubt
hatte. Da standen wir im Kreis und haben gebetet und dann wurde es um mich ganz
hell. Ich war nicht betrunken und stand auch nicht unter Einfluss von Drogen,
sondern es wurde einfach hell und dann habe ich gespürt wie meine Zunge anfängt
zu lallen. Ich wusste selbst nicht genau was das ist. Ich habe das schon oft
bei anderen gehört und dann habe ich angefangen darüber nachzudenken und dann
ist es wieder weggegangen. Ich glaube nachdenken und Zungenreden schließt sich
aus.
Befindet man
sich in einer Art Trancezustand?
Du bist zu dem
Zeitpunkt voll da, du nimmst alles war. Kann sein, dass es etwas Ähnliches wie
ein Trancezustand ist. Vielleicht war es bei mir so eine Art Vorstufe.
Was war der Grund in diese Gemeinde einzutreten?
Meine Eltern
sind in der Gemeinde, meine Onkel und Tanten sind in dieser Gemeinde, meine
Großeltern waren in dieser Gemeinde. Ich bin da hinein geboren worden und als
Kind hast du erst einmal keine Wahl, weil du das toll findest, was deine Eltern
toll finden. Ich bin da aufgewachsen, aber als ich dann älter wurde habe ich es
dann auch rationaler gesehen. Ich habe versucht das irgendwie auch anhand der
Bibel zu analysieren und habe auch geschaut wie es in anderen Gemeinden abläuft.
Da habe ich dann gemerkt, dass die Gemeinden sich zum Teil widersprechen. Also
eine Gemeinde spricht praktisch der anderen Gemeinde die Heilsgewissheit ab und
das fand ich dann komisch, weil die sich beide auf die Bibel berufen, aber
trotzdem zu anderen Schlüssen kommen. 2007 bin ich dann für mein Erststudium nach
Ulm gegangen und habe dort unterschiedliche Gemeinden kennengelernt und erneut gemerkt,
dass die Gemeinden voll voneinander abweichen. In der Zeit bin ich dann
innerlich immer mehr aus meiner Heimatgemeinde ausgestiegen. Ich wollte damals
nur die Gemeinde wechseln, also in eine deutsche Freikirche in Heidelberg, die
nicht so konservativ ist wie die in der ich aufgewachsen bin. Ich war damals
noch nicht bereit den Schritt komplett aus der Gemeinde zu machen. Erst ein
Jahr später bin ich dann komplett ausgetreten.
Wie war die Reaktion
deiner Familie?
Für meine Eltern
war das extrem hart. Meine Mutter hat damals geweint. Vor allem als ich später
gesagt habe, dass ich in gar keine Gemeinde mehr geh, also auch nicht in
Heidelberg. Die nehmen die Bibel ziemlich wörtlich und stellen sich dann vor,
wer nicht in einer Gemeinde ist, der ist verloren, der fährt sofort in die
Hölle. Diese Situation habe ich ziemlich lang hinaus gezögert, weil ich Angst
hatte, was meine Eltern dazu sagen würden. Im Prinzip ist es nicht nur ein
Ausstieg aus der Gemeinde ist, sondern auch ein Abwenden von der ganzen
Verwandtschaft, weil die alle da drin sind. Das ist schon eine Art Skandal.
Wie ist das
Verhältnis zu deiner Familie heute?
Wenn wir es ansprechen
würden wäre es ein Konfliktpunkt. Wir versuchen das Thema zu vermeiden, aber abgesehen
davon verstehe ich mich mit meinen Eltern gut. Ich merke, dass meine Eltern sich
immer erhoffen, dass ich irgendwann zurückkomme. Andererseits haben sie keine
andere Wahl als es zu akzeptieren.
Hat die Gemeinde
noch etwas zu deinem Austritt gesagt?
Mit der Gemeinde
habe ich das nicht mehr besprochen, weil ich das auch nicht wollte. Bei einer
Gemeinde mit 400- 500 Mitgliedern geht dann gleich das Getratsche los, wie
früher auf dem Dorf.
Was glaubst du
wäre passiert, wenn die Gemeinde deinen Austritt mitbekommen hätte?
Es würde viel geredet werden und dann heißt es: Hast du gehört, von dem der Sohn ist vom
Glauben abgekommen, wie kann das passieren, der ist doch in einer gläubigen
Familie aufgewachsen, der kennt doch die Wahrheit.
Was war das extremste
Erlebnis, dass du in der Gemeinde mitbekommen hast?
Das Krasseste
was ich mitbekommen habe und was auch ein Grund für meinen Austritt war, war
als ein Freund sich mit dem Calvinismus beschäftigte und irgendwann meinte,
dass unsere Gemeinde von der Theologie her nicht richtig ist. Er wurde dann
dafür ausgeschlossen und später dann auch seine ganze Familie. Und zwar als
Häretiker. Und dann wurde wirklich den Gemeindemitgliedern der Kontakt mit der
ganzen Familie verboten. Also das schlimmste was dir passieren kann ist, wenn
du als Häretiker ausgeschlossen wirst. Weil dann wirst du wirklich gemieden.
Auch in der
Öffentlichkeit?
Ja, das soll
sich auch auf das öffentliche Leben beziehen. Die berufen sich da auf Paulus,
der im Neuen Testament sagt, wer ausgeschlossen wurde, den soll man
meiden und nicht grüßen. Aber wir leben in 21. Jahrhundert. Angenommen jemand
aus meiner Gemeinde wird ausgeschlossen und ich bin mit ihm in der gleichen
Firma. Soll ich ihm jetzt aus dem Weg gehen?
Vielleicht leben
die Leute in ihren Köpfen nicht im 21. Jahrhundert.
Nein, die leben im
Prinzip im 1. Jahrhundert. Früher war es auch nicht erwünscht, dass man zur
Bundeswehr geht, weil man dort auf die Verfassung schwören muss. Und weil man
eben nicht schwören darf laut Bibel, soll man auch nicht zur Bundeswehr gehen.
Man darf auch kein Polizist oder Richter werden.
Man darf nicht
schwören, also darf man bestimmte Berufe nicht ergreifen?
Genau.
Und was wenn man
den Beruf trotzdem ergreift? Wird man dann ausgestoßen?
Ich kenne jetzt
keinen Präzedenzfall, aber eigentlich kommt es gar nicht dazu, dass du so einen
Beruf ergreifst, das wird von den Eltern so kontrolliert.
Würdest du sagen,
dass in der Gemeinde manipulativ gearbeitet wird?
Manipulativ
insofern, weil sie die Bibel wörtlich auslegen. Die ultimative Drohung ist die
Hölle. Die Glauben wirklich daran. Lebst du dein Leben nach der Bibel kommst
du in den Himmel, tust du es nicht kommst du in die Hölle. Das heißt
Manipulation geschieht insofern, als dass dir immer ein schlechtes Gewissen
eingeredet wird. Meine Freunde hatten damals schon ihre Wassertaufe und ich
noch nicht, weil ich zu der Zeit auch ein bisschen geraucht und getrunken habe,
was eigentlich nicht erlaubt ist. Das hat mich zum Teil so belastet, dass ich
dann auch schlecht geträumt habe, weil ich dachte, ich komme in die Hölle. Da
gehen dann in der Gemeinde auch so Geschichten von Jugendlichen aus der
Gemeinde herum, die in die Disko gefahren sind und dann ein Unfall hatten. Und
wenn sie tot sind, wo kommen sie wohl hin? Disko, tanzen, rauchen, trinken, das
sind alles verbotene Dinge.
Werden Lügengeschichten
zur Abschreckung benutzt?
Es sind
vielleicht nicht einmal Lügengeschichten, es kommen genug Jugendliche bei
Autounfällen um, nur die Schlüsse die daraus gezogen werden sind anders. Wenn
es dann heißt, er ist gestorben und war nicht versöhnt mit Gott, dann kann man
sich denken wo er gelandet sein könnte. Und dann machst du dir Sorgen
und denkst, dann fahr ich vielleicht lieber nicht in die Disko, weil es könnte ein Unfall passieren und wenn ich sterbe, dann komme ich in die Hölle, denn ich
war im Begriff zu sündigen. Von daher wirst du nicht manipuliert, du glaubst daran wenn du drin bist.
Würdest du
sagen, dass es eine Sekte ist?
Ich würde sagen
es ist definitiv eine Sekte, weil sie einfach unterscheidet zwischen Gemeinde
und der realen Welt. Sie glauben, dass du von Gott nicht gerettet werden
kannst, wenn du nicht in der Gemeinde bist. Die meisten die da reinwachsen
haben noch Kontakt mit anderen Freunden, aber je älter sie werden, desto mehr
brechen sie ihre außerkirchlichen Kontakte ab und orientieren sich dann nur
noch innerhalb der Gemeinde.
Wie gefährlich
ist die Pfingstgemeinde deiner Meinung nach?
Gefährlich ist
sie nur in psychologischer Hinsicht. Wenn es um Themen wie Homosexualität oder
gleichgeschlechtliche Ehe geht, vertreten sie radikale Thesen die nichts
mehr mit dem 21. Jahrhundert zu tun haben und auch nicht wirklich konstruktiv
für Diskussionen sind. Und gefährlich insofern, als dass auf junge Menschen ein
unheimlicher Druck herrscht in der Gemeinde zu bleiben, weil du ja nicht in die
Hölle kommen willst. Aber falls man doch aussteigt wird man nicht bedroht. Danach
wirst du vielleicht noch eingeladen wider zu kommen, aber du wirst nicht
terrorisiert.
War es eine gute
Entscheidung auszutreten?
Ja definitiv,
ich habe es als extreme Befreiung empfunden.
*Name zum Schutz der Privatsphäre
geändert