Sonntag, 30. November 2014

Krieg um Jerusalem



Der ewige Streitpunkt im Nahost-Konflikt:
Tempelberg in Jerusalem
Eine der Hauptursachen für scheiternde Friedensgespräche im Nahost- Konflikt und stetig neu entfachte Gewaltherde ist der scheinbar niemals endende Streit um die Stadt Jerusalem. Die Angriffe auf orthodoxe Juden nahe einer Religionsschule und der Anschlag auf eine Synagoge in den letzten Wochen haben gezeigt, dass Religion im Nahost- Konflikt wohl doch eine sehr entscheidende Rolle spielt.

Für die Muslime ist Jerusalem nach den beiden Städten Mekka und Medina in Saudi- Arabien der drittheiligste Ort des Islams. Eine besondere Bedeutung hat der Tempelberg mit den beiden Heiligtümern des Felsendoms und der al-Aqsa Moschee. Hier auf dem Tempelberg soll der Überlieferung nach der Prophet Mohammed in den Himmel aufgestiegen sein. Auch für die jüdische Tradition spielt der Tempelberg eine besondere Rolle. Hier soll König David die Stämme Israels vereint haben und König Salomo den ersten Tempel erbaut haben, von dem heute noch die Westmauer, besser bekannt als Klagemauer, erhalten ist.

National-religiöse und rechtsextreme Juden wollen ihren Anspruch auf den Tempelberg geltend machen, indem sie versuchen historische Fakten zu schaffen. Mitten im palästinensischen Stadtviertel „Silwan“ in Ost- Jerusalem betreibt die israelische Altertumsbehörde seit den 1970er Jahren archäologische Ausgrabungen. Hier soll sich das alte Jerusalem, auch City of David genannt, befinden. Unterstützt werden die Ausgrabungsprojekte von der rechtsgerichteten, jüdischen Siedlerorganisation Elad. 2005 fanden Archäologen Reste einer Mauer, die sie zu einer Ecke des alten Palasts zuordneten. Seitdem wird unter den Häusern der Palästinenser stetig weiter gegraben. Damit ungestört gearbeitet werden kann, werden die Häuser den Palästinenser entweder abgekauft, abgerissen, oder es kommen neue Wohnungen für Elad- treue Siedler hinzu. Der Stadtteil heißt mittlerweile „Ir David“ (Stadt Davids) und nicht mehr „Silwan“.

Die national-religiösen Parteien Israels sympathisieren mit den verschiedenen Siedlerbewegungen und sehen sich als ihre parlamentarische Vertretung in der Knesset. Schaut man sich die Sitzverteilung der letzten beiden Knesset-Wahlen an, kann man erkennen, dass die national-religiösen Parteien einen Aufschwung erhalten. In der jetzigen 19. Knesset sind drei national-/ultrareligiöse Parteien vertreten: HaBayit HaYehudi, Shas und United Torah Judaism. Bei der Wahl 2013 erreichten diese Parteien 30 Sitze von insgesamt 120. Bei der Wahl zur 18. Knesset erreichten die religiösen Parteien noch 19 Sitze. Der stärker werdende Einfluss der religiösen Parteien ist ein großes Problem bei Konfliktlösungen. Tiefe Religiosität geht Hand in Hand mit tiefem Argwohn gegenüber den Palästinensern. Die in der Zweistaaten-Lösung angestrebte Teilung der heiligen Stadt Jerusalem ist nicht verhandelbar.

Ultraorthodoxe Juden gehen zum Beten aus religiösen Gründen nur an die Klagemauer und nicht auf das Plateau des Tempelbergs. National-religiöse Juden hingegen gehen bewusst auf den Tempelberg und bekräftigen damit ihren Anspruch auf ihn. Auch Knesset-Abgeordnete, wie Moshe Feiglin von der rechten Regierungspartei Likud, besuchten in den letzten Wochen den Tempelberg, um das gespannte Verhältnis weiter zu reizen. Szenen wie diese kennt man bereits aus dem Jahr 2000. Der provokante Besuch auf dem Tempelberg von Israels ehemaligem Ministerpräsident Ariel Sharon, zu dieser Zeit noch Oppositionsführer, wurde schließlich zu einem der Auslöser der Zweiten Intifada.

Der Tempelberg ist kein Hoheitsgebiet Israels, sondern untersteht der Waqf; eine islamische Stiftung mit Kontrolle und Verwaltung der aktuellen islamischen Bauten. Israel hat stets betont, an dem Status quo des Tempelbergs nichts ändern zu wollen. Die jüngsten Ereignisse sagen etwas anderes. Infolge der Ausschreitungen und der Mordserien an Israelis in den letzten Wochen, wurde der Tempelberg nach über zehn Jahren wieder komplett abgesperrt. Muslime durften einen Tag lang nicht zur al-Aqsa Moschee und zum Felsendom hinauf.

Was folgte war ein Aufschrei in der muslimischen Welt und die Angst, dass Israel den Status des Tempelbergs doch verändern will. Szenarien wie diese sind ein Grund den Hass in diesem Konflikt weiter zu schüren. Auch für Israels Premier Benjamin Netanjahu wird es eng. Die Forderungen von den religiösen und rechten Extremisten, für Juden endlich neue Rechte für den Tempelberg zu billigen, werden immer lauter. Die zukünftigen Entwicklungen werden zeigen, ob sich der politische Konflikt zu einem religiösen Konflikt entfalten wird. Es ist eine traurige Ironie, dass der Friedensprozess zum Scheitern verurteilt ist, weil sich die selbst als säkular bezeichnenden Parteien immer wieder über dasselbe religiöse Problem stolpern.




Bild: By Godot 13 [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons


Montag, 17. November 2014

Mehr Waffen sind besser als weniger


USA: Früh übt sich an der Waffe
Die Vereinigten Staaten von Amerika – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der unbegrenzten Anzahl an Knarren. Das Recht auf Waffenbesitz ist den Amerikanern so heilig wie das Amen in der Kirche. Nicht umsonst steht es in den Zusatzartikeln der amerikanischen Verfassung seit 1791 bereits an zweiter Stelle, direkt nach Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Trennung von Staat und Kirche. 

So stark wie sich die USA nach außen hin geben, so schwach sind sie manchmal nach innen. Es vergeht kein Jahr in dem nicht irgendwo in den USA ein Amoklauf an einer Schule stattfindet. Die Lehrer sind für den Ernstfall vorbereitet, doch oft werden die ersten Schüsse des Amokläufers nicht als solcher identifiziert. Bevor man reagieren kann, ist es schon zu spät. Bis die Polizei alarmiert und vor Ort ist, vergehen wichtige Minuten, die weitere Opfer kosten können.

Ein Früherkennungssystem des US- Militärs soll helfen. Die Firma Shooter Detection Systems aus Massachusetts entwickelte zusammen mit dem Verteidigungsministerium das sogenannte „Guardian Indoor Gunshot Detection System“. In jedem Flur und Zimmer des Schulgebäudes werden Geräte mit einem Sensor angebracht. Das System erkennt sofort einen Schuss aus einer Waffe und sendet innerhalb einer Sekunde einen Alarmruf an das Schulpersonal und an die nächste Polizeibehörde. Am Monitor können die Lehrer und die Polizei sehen von wo der Schuss abgefeuert wurde und dementsprechend handeln. Das bereits im Irak und Afghanistan zum Einsatz gekommene System kann jetzt auch im normalen Handel erworben werden.

Ist das die Wunderwaffe, um Amokläufe in Schulen künftig zu stoppen? Oder ist es nur eine teure Anschaffung, die Sicherheitsfirmen weiteres Geld beschert? Private Sicherheitsdienste boomen in den USA. Laut Stern hat sich die Anzahl der Mitarbeiter von privaten Sicherheitsfirmen in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent auf 680 000 erhöht.

Das eigentliche Problem sind jedoch die schwachen Waffengesetze der USA. Wenn man bei Walmart Waffen kaufen kann, dann braucht man sich auch nicht wundern, wenn nicht jeder Käufer sich nur damit verteidigen will, sondern auch töten. Eine Woche nach dem Amoklauf in Newtown warb die größte US- Waffenlobby, die National Rifle Association, für eine stärkere Präsenz von Waffen in den Schulen. NRA- Vizechef Wayne LaPierre sagte damals auf einer Pressekonferenz: „Der einzige Weg, einen schlechten Typen mit einer Kanone zu stoppen, ist ein guter Typ mit einer Kanone.“

Nach Logik von schießwütigen Amerikanern bedeutet das: Je mehr Amokläufe stattfinden, desto mehr Waffen benötigt man, um diese zu stoppen.
Nach Logik der Allgemeinheit bedeutet das: Je mehr Waffen vorhanden sind, desto mehr Amokläufe gibt es. Ein tödlicher Kreislauf, von dem die Rüstungsindustrie in den USA prächtig profitiert.

 Anzahl der jährlich hergestellten Schusswaffen in den USA:



Pistolen
2 589 133
3 487 883
4 440 853
Revolver
   572 857
   667 357
   725 282
Gewehre
2 318 088
3 168 206
3 608 383
  


Es ist nicht so, dass es keine Vorschläge geben würde, Waffengesetze zu ändern, allerdings weist der Kongress diese jedes Mal ab. Nach dem Amoklauf 2012 in Newtown mit 28 Toten verlangte Obama das Verbot von Sturmgewehren – abgelehnt. Nach den Anschlägen von Boston im Jahr 2013 forderte Obama eine strengere Überprüfung von Waffenkäufern – abgelehnt.

Gesetzesänderungen funktionieren in den USA über den Kongress, der aus zwei Teilen besteht – dem Senat und dem Repräsentantenhaus. Mit dem Sieg der Republikaner bei den letzten Kongresswahlen vor zwei Wochen stellen sie nun in beiden Kammern die Mehrheit. Die Möglichkeiten etwas an den Waffengesetzen zu ändern schwinden dahin. In Obamas letzten beiden Amtsjahren wird er sich eher um die beiden großen Themen Einwanderungsreform und Außenpolitik kümmern.

2016 finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Nach wie vor gilt die Demokratin Hillary Clinton als Favoritin. Der Wahlkampf hat bereits begonnen. Mit der Schlappe der Demokraten bei den Kongresswahlen, steigen die Chancen für die Republikaner wieder und lassen eine Verschärfung der Waffengesetze weiterhin utopisch wirken. Und falls das Früherkennungssystem sein Ziel verfehlt, produziert man eben mehr Waffen. Irgendwann ergibt diese Logik bestimmt Sinn.




Bild: By DVIDSHUB [CC BY 2.0], via Flickr

Sonntag, 2. November 2014

Himmel und Hölle


Die Pfingstbewegung aus den USA
Ultrakonservative Glaubensgrundsätze und eine wörtliche Auslegung der Bibel. Wer sich nicht daran hält, wird ausgeschlossen. Die „Zungenrede“ als Möglichkeit zu Gott zu finden und die permanente Drohung in die Hölle zu kommen. Brief&Siegel im Gespräch mit dem Aussteiger Sebastian*, der 27 Jahre lang Mitglied einer Pfingstgemeinde war.  


Du warst Mitglied in einer sogenannten „Pfingstgemeinde.“ Was darf man sich darunter vorstellen?

Sebastian: Das ist eine freie Gemeinde, die sich durch ein wörtliches Verständnis der Bibel auszeichnen. Ähnlich wie die Evangelikalen in den USA.

Und du warst Mitglied in der Brüderschaft der Freien Evangeliums Christen Gemeinden. Ist das eine Untergruppe?

Das ist ein Bund zu der verschiedene Tochtergemeinden gehören und hierarchisch geordnet sind. Da gibt es einen Ober- Bischof, Unter- Bischöfe und jede Gemeinde hat ihren Pastor.

Ist das dieser sogenannte „Älteste“?

Ältester kann synonym sein für Bischof, Pastor, oder Diakon.

Auf der Internetseite der Brüderschaft steht, dass der Älteste sich durch Treue und Reife im Glauben für dieses Amt qualifiziert. Wie darf man das verstehen?

Es ist so, dass diese Ältesten- Funktion den Männern vorbehalten ist, weil es in der Bibel so steht, dass nur Männer das machen dürfen. Der Älteste muss sehr konform mit den Kirchenlehren sein. Treu im Glauben heißt, dass er gegen die biblischen Glaubensregeln nicht verstoßen darf. Zum Beispiel kein Sex vor der Ehe, oder Verbot des Ehebruchs. Wenn jemand dagegen verstößt, disqualifiziert er sich automatisch für diesen Job.

Wird dieser Mann dann aus der Gemeinde ausgeschlossen, oder kann er lediglich kein Ältester mehr werden?

Es kommt darauf an, was er gemacht hat. Wenn es eine Kleinigkeit ist, dann gibt es eine Art Verwarnung. Einmal im Monat gibt es für die Mitglieder eine Mitgliederversammlung. Vollwertiges Mitglied mit Mitspracherecht bist du erst nach deiner Wassertaufe. Wenn jetzt ein Mitglied gegen die Regeln der Gemeinde verstößt, dann wird das auf der Mitgliederversammlung bekannt gegeben. Dann heißt es zum Beispiel: Hans Müller wurde beim Rumknutschen erwischt. Das läuft dann unter Hurerei.

Man wird also bloßgestellt?

Es kommt auf das Vergehen an. Wenn man mal betrunken war, dann kann das intern geregelt werden, nur mit dem Pastor. Wenn man zum Beispiel zur Beichte geht. Aber wenn das Vergehen irgendetwas mit Sex zu tun hat, dann wird das bekannt gegeben und dafür wirst du ausgeschlossen aus der Gemeinde. Jedes Mitglied weiß dann Bescheid und sollte von nun an keinen Umgang mehr mit dir haben. Du kannst aber auch Buße tun und sagen, dass es dir Leid tut, und nach einer gewissen Frist, nach Wochen oder Monaten, je nachdem wie du dich anstrengst, wirst du wieder aufgenommen.

Du hast gerade von der Wassertaufe gesprochen. Wie sehen die religiösen Praktiken der Gemeinde aus?  

Eine übliche Praktik ist die „Zungenrede“. Das wird als eine Art Geistesgabe angesehen, sozusagen ein Geschenk von Gott an dich. Das kannst du im Prinzip jederzeit bekommen, wenn du dich darum bemühst, wenn du darum betest. Die meisten bekommen es im Jugendalter. Es ist wird auch gewünscht, dass du die Geistestaufe, also das Reden in Zungen, erhältst, bevor du die Wassertaufe machst, also bevor du Mitglied wirst. Die Zungenrede klingt von Person zu Person unterschiedlich. Bei manchen ist es nur so ein Lallen, bei manchen klingt es wie eine eigene Sprache.

Hast du auch die Zungenrede praktiziert?

Ich hatte das einmal kurz, als ich vor meiner Wassertaufe darum gebetet habe. So eine Art mystisches Erlebnis. Das war noch in einer Zeit in der ich fest daran geglaubt hatte. Da standen wir im Kreis und haben gebetet und dann wurde es um mich ganz hell. Ich war nicht betrunken und stand auch nicht unter Einfluss von Drogen, sondern es wurde einfach hell und dann habe ich gespürt wie meine Zunge anfängt zu lallen. Ich wusste selbst nicht genau was das ist. Ich habe das schon oft bei anderen gehört und dann habe ich angefangen darüber nachzudenken und dann ist es wieder weggegangen. Ich glaube nachdenken und Zungenreden schließt sich aus.

Befindet man sich in einer Art Trancezustand?

Du bist zu dem Zeitpunkt voll da, du nimmst alles war. Kann sein, dass es etwas Ähnliches wie ein Trancezustand ist. Vielleicht war es bei mir so eine Art Vorstufe.

Was war der Grund in diese Gemeinde einzutreten?

Meine Eltern sind in der Gemeinde, meine Onkel und Tanten sind in dieser Gemeinde, meine Großeltern waren in dieser Gemeinde. Ich bin da hinein geboren worden und als Kind hast du erst einmal keine Wahl, weil du das toll findest, was deine Eltern toll finden. Ich bin da aufgewachsen, aber als ich dann älter wurde habe ich es dann auch rationaler gesehen. Ich habe versucht das irgendwie auch anhand der Bibel zu analysieren und habe auch geschaut wie es in anderen Gemeinden abläuft. Da habe ich dann gemerkt, dass die Gemeinden sich zum Teil widersprechen. Also eine Gemeinde spricht praktisch der anderen Gemeinde die Heilsgewissheit ab und das fand ich dann komisch, weil die sich beide auf die Bibel berufen, aber trotzdem zu anderen Schlüssen kommen. 2007 bin ich dann für mein Erststudium nach Ulm gegangen und habe dort unterschiedliche Gemeinden kennengelernt und erneut gemerkt, dass die Gemeinden voll voneinander abweichen. In der Zeit bin ich dann innerlich immer mehr aus meiner Heimatgemeinde ausgestiegen. Ich wollte damals nur die Gemeinde wechseln, also in eine deutsche Freikirche in Heidelberg, die nicht so konservativ ist wie die in der ich aufgewachsen bin. Ich war damals noch nicht bereit den Schritt komplett aus der Gemeinde zu machen. Erst ein Jahr später bin ich dann komplett ausgetreten.

Wie war die Reaktion deiner Familie?

Für meine Eltern war das extrem hart. Meine Mutter hat damals geweint. Vor allem als ich später gesagt habe, dass ich in gar keine Gemeinde mehr geh, also auch nicht in Heidelberg. Die nehmen die Bibel ziemlich wörtlich und stellen sich dann vor, wer nicht in einer Gemeinde ist, der ist verloren, der fährt sofort in die Hölle. Diese Situation habe ich ziemlich lang hinaus gezögert, weil ich Angst hatte, was meine Eltern dazu sagen würden. Im Prinzip ist es nicht nur ein Ausstieg aus der Gemeinde ist, sondern auch ein Abwenden von der ganzen Verwandtschaft, weil die alle da drin sind. Das ist schon eine Art Skandal.

Wie ist das Verhältnis zu deiner Familie heute?

Wenn wir es ansprechen würden wäre es ein Konfliktpunkt. Wir versuchen das Thema zu vermeiden, aber abgesehen davon verstehe ich mich mit meinen Eltern gut. Ich merke, dass meine Eltern sich immer erhoffen, dass ich irgendwann zurückkomme. Andererseits haben sie keine andere Wahl als es zu akzeptieren.

Hat die Gemeinde noch etwas zu deinem Austritt gesagt?

Mit der Gemeinde habe ich das nicht mehr besprochen, weil ich das auch nicht wollte. Bei einer Gemeinde mit 400- 500 Mitgliedern geht dann gleich das Getratsche los, wie früher auf dem Dorf.

Was glaubst du wäre passiert, wenn die Gemeinde deinen Austritt mitbekommen hätte?

Es würde viel geredet werden und dann heißt es: Hast du gehört, von dem der Sohn ist vom Glauben abgekommen, wie kann das passieren, der ist doch in einer gläubigen Familie aufgewachsen, der kennt doch die Wahrheit.

Was war das extremste Erlebnis, dass du in der Gemeinde mitbekommen hast?

Das Krasseste was ich mitbekommen habe und was auch ein Grund für meinen Austritt war, war als ein Freund sich mit dem Calvinismus beschäftigte und irgendwann meinte, dass unsere Gemeinde von der Theologie her nicht richtig ist. Er wurde dann dafür ausgeschlossen und später dann auch seine ganze Familie. Und zwar als Häretiker. Und dann wurde wirklich den Gemeindemitgliedern der Kontakt mit der ganzen Familie verboten. Also das schlimmste was dir passieren kann ist, wenn du als Häretiker ausgeschlossen wirst. Weil dann wirst du wirklich gemieden.

Auch in der Öffentlichkeit?

Ja, das soll sich auch auf das öffentliche Leben beziehen. Die berufen sich da auf Paulus, der im Neuen Testament sagt, wer ausgeschlossen wurde, den soll man meiden und nicht grüßen. Aber wir leben in 21. Jahrhundert. Angenommen jemand aus meiner Gemeinde wird ausgeschlossen und ich bin mit ihm in der gleichen Firma. Soll ich ihm jetzt aus dem Weg gehen?

Vielleicht leben die Leute in ihren Köpfen nicht im 21. Jahrhundert.

Nein, die leben im Prinzip im 1. Jahrhundert. Früher war es auch nicht erwünscht, dass man zur Bundeswehr geht, weil man dort auf die Verfassung schwören muss. Und weil man eben nicht schwören darf laut Bibel, soll man auch nicht zur Bundeswehr gehen. Man darf auch kein Polizist oder Richter werden.

Man darf nicht schwören, also darf man bestimmte Berufe nicht ergreifen?

Genau.

Und was wenn man den Beruf trotzdem ergreift? Wird man dann ausgestoßen?

Ich kenne jetzt keinen Präzedenzfall, aber eigentlich kommt es gar nicht dazu, dass du so einen Beruf ergreifst, das wird von den Eltern so kontrolliert.

Würdest du sagen, dass in der Gemeinde manipulativ gearbeitet wird?

Manipulativ insofern, weil sie die Bibel wörtlich auslegen. Die ultimative Drohung ist die Hölle. Die Glauben wirklich daran. Lebst du dein Leben nach der Bibel kommst du in den Himmel, tust du es nicht kommst du in die Hölle. Das heißt Manipulation geschieht insofern, als dass dir immer ein schlechtes Gewissen eingeredet wird. Meine Freunde hatten damals schon ihre Wassertaufe und ich noch nicht, weil ich zu der Zeit auch ein bisschen geraucht und getrunken habe, was eigentlich nicht erlaubt ist. Das hat mich zum Teil so belastet, dass ich dann auch schlecht geträumt habe, weil ich dachte, ich komme in die Hölle. Da gehen dann in der Gemeinde auch so Geschichten von Jugendlichen aus der Gemeinde herum, die in die Disko gefahren sind und dann ein Unfall hatten. Und wenn sie tot sind, wo kommen sie wohl hin? Disko, tanzen, rauchen, trinken, das sind alles verbotene Dinge.

Werden Lügengeschichten zur Abschreckung benutzt?

Es sind vielleicht nicht einmal Lügengeschichten, es kommen genug Jugendliche bei Autounfällen um, nur die Schlüsse die daraus gezogen werden sind anders. Wenn es dann heißt, er ist gestorben und war nicht versöhnt mit Gott, dann kann man sich denken wo er gelandet sein könnte. Und dann machst du dir Sorgen und denkst, dann fahr ich vielleicht lieber nicht in die Disko, weil es könnte ein Unfall passieren und wenn ich sterbe, dann komme ich in die Hölle, denn ich war im Begriff zu sündigen. Von daher wirst du nicht manipuliert, du glaubst daran wenn du drin bist.

Würdest du sagen, dass es eine Sekte ist?

Ich würde sagen es ist definitiv eine Sekte, weil sie einfach unterscheidet zwischen Gemeinde und der realen Welt. Sie glauben, dass du von Gott nicht gerettet werden kannst, wenn du nicht in der Gemeinde bist. Die meisten die da reinwachsen haben noch Kontakt mit anderen Freunden, aber je älter sie werden, desto mehr brechen sie ihre außerkirchlichen Kontakte ab und orientieren sich dann nur noch innerhalb der Gemeinde.

Wie gefährlich ist die Pfingstgemeinde deiner Meinung nach?

Gefährlich ist sie nur in psychologischer Hinsicht. Wenn es um Themen wie Homosexualität oder gleichgeschlechtliche Ehe geht, vertreten sie radikale Thesen die nichts mehr mit dem 21. Jahrhundert zu tun haben und auch nicht wirklich konstruktiv für Diskussionen sind. Und gefährlich insofern, als dass auf junge Menschen ein unheimlicher Druck herrscht in der Gemeinde zu bleiben, weil du ja nicht in die Hölle kommen willst. Aber falls man doch aussteigt wird man nicht bedroht. Danach wirst du vielleicht noch eingeladen wider zu kommen, aber du wirst nicht terrorisiert.

War es eine gute Entscheidung auszutreten?

Ja definitiv, ich habe es als extreme Befreiung empfunden.



*Name zum Schutz der Privatsphäre geändert





 Bild: By Thomas Hawk [CC BY-NC 2.0], via Flickr