Samstag, 31. Januar 2015

Die Wahrheit ist in den Medien leider nicht verfügbar


Wer sagt die Wahrheit, wer lügt?
Montag, 20 Uhr in Heidelberg. Eine Menschenansammlung steht vor dem Hauptbahnhof und lauscht aufmerksam der Person am Mikrofon. Ein älterer Herr verteilt unter seinem aufgestellten Pavillon Tee und Kekse. Keiner grölt hier herum, keine Reichsfahnen in schwarz-weiß-rot werden hier geschwungen. Die Mahnwache in Heidelberg sieht anders aus und wirkt auch ganz anders, als ihr Pendant in Berlin. Doch das Thema ist dasselbe: Für den Frieden und gegen die Presse.

Xavier Naidoo hielt am Tag der Deutschen Einheit vergangenen Jahres im Berliner Regierungsviertel eine Rede über die von den USA besetzte Bundesrepublik und rief zum Widerstand auf. Das Publikum bestand zum großen Teil aus der rechtspopulistischen Gruppe der Reichsbürgerbewegung. Diese Gruppe erkennt die Bundesrepublik Deutschland nicht an, sondern glaubt an das Weiterbestehen des Deutschen Reiches mit den Grenzen von 1937. Außerdem behaupten sie, Deutschland befände sich unter der Fremdherrschaft der USA. Auch wenn Herr Naidoo vor seinem Auftritt sagte: „Ich habe keine Ahnung wer hier steht, ich repräsentiere nur die Liebe“, kann man es ihm nicht ganz abkaufen, dass er sich unbewusst auf die Bühne von Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern gestellt hatte.

In Heidelberg geht alles etwas ruhiger vonstatten. Knapp 20 Personen haben sich vergangenen Montag hier am Heidelberger Hauptbahnhof eingefunden. Vom Handwerker mit Arbeiterhose und Zollstab in der Tasche, bis hin zur älteren Dame mit Nerzfell um den Hals – alle stehen sie gemeinsam hier, um für den Frieden zu protestieren. Normale Leute, die sich Sorgen um ihre Zukunft und die ihrer Kinder und Freunde machen.

„Auch wir haben erkannt, dass man uns manipuliert und hintergeht, denn unsere Medien belügen euch und unser eigenes Volk“, heißt es in der Anfangsrede, die bei jeder Mahnwache von neuem vorgetragen wird. Entstanden ist die Mahnwache in Heidelberg im Zuge der Krim-Krise und den gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Ukraine. Über eine Stunde stehe ich bei dieser Mahnwache für den Frieden, doch eigentlich höre ich nur, wie über die Presse herzogen wird. Die Medien würden viel zu wenig berichten und das was berichtet wird, ist gelogen. Ich komme ins Gespräch mit Jürgen D. aus Heidelberg, der sich bei dieser Mahnwache als erster vor das Mikro gestellt hatte.
 
Nachdem er am Anfang seines Vortrags betrübt erwähnt, dass man jetzt ja nicht mehr Lügenpresse sagen dürfe, setzt er zum Rundumschlag gegen die Medien an. Dass die erste Ausgabe von Charlie Hebdo nach den Anschlägen in Paris so schnell ausverkauft war, hält er für eine gezielte Inszenierung der Medien und dass man den Ausweis von einem der Attentäter in dem Fluchtwagen gefunden hatte, mache ihn doch sehr stutzig. Nach seinem Vortrag frage ich ihn, welche Medien ihn denn genau stören würden. Er antwortet: „Im Grunde genommen der sogenannte Mainstream. Also ARD und ZDF und der größte Teil der Tageszeitungen.“

Die Personen der Heidelberger Mahnwache beziehen ihre Information lieber aus anderen Medien. Auf ihrer Webseite wird unter „Alternative Berichterstattung“ die Internetplattform News23 gelistet. Neben dubiosen Pressetexten und Video-Interviews mit Sprechern von PEGADA (Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes), gewährt auch das Impressum der Seite einem interessante Einblicke. Im Impressum steht weder der Name einer Person oder einer Firma, sondern eine Adresse in Uruguay. Das klingt schon mal verdächtigt. Gibt man die Adresse in einer Suchmaschine ein, findet man dieselben Impressumsangaben für hundert weitere Webseiten, unter anderem für Gesundheitstrainer, Computer-Dienste oder Möglichkeiten für „Geld verdienen im Internet“. Seriosität sieht anders aus.

Auch die Buchtipps, die auf der Internetseite der Heidelberger Mahnwache angepriesen werden, sind mehr als fragwürdig. Neben Büchern wie „Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren“ oder „Die Jahrhundertlüge, die nur Insider kennen“, findet man auch das Buch „Krieg in der Ukraine. Die Chronik einer geplanten Katastrophe“, das vom Kopp-Verlag aus Rottenburg am Neckar vertrieben wird. Neben einem Sammelbecken von Verschwörungstheoretikern und Pseudowissenschaftlern, beherbergte der Kopp-Verlag auch eine Zeit lang die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, die sich mit Äußerungen über Hitlers tolle Familienpolitik 2007 ins Aus katapultierte. Passend dazu, postet die Heidelberger Mahnwache regelmäßig Videos des Journalisten Ken Jebsen, der weniger wegen seiner journalistischen Tätigkeiten für Aufmerksamkeit sorgte, sondern eher durch seinen Rauswurf bei Radio Fritz 2011, als er den Holocaust als eine PR-Erfindung bezeichnete.

Mit rechtem Gedankengut will die Heidelberger Mahnwache nichts zu tun haben, auch wenn man auf ihrer Internetseite das Positionspapier von Pegida herunterladen kann. Jürgen sagt, die Medien wollen ihre Mahnwache in die rechte Ecke stellen. Er erzählt mir, dass bei einer groß angelegten Mahnwache am Heidelberger Bismarckplatz vergangen Sommer von den Medien gezielt Rechtsradikale platziert worden seien und aus einem vorbeifahrenden Auto heraus Fotos gemacht worden sind, um die Mahnwache als rechten Mob zu diffamieren. Was auf mich wie ein schlechter Witz wirkt, bei dem ich zugegebener Maßen leicht schmunzeln muss, ist für Jürgen hingegen bitterer Ernst.

Die Personen der Heidelberger Mahnwache, die seit ihrer Gründung am 02. Juli 2014 jeden Montag bei Wind und Wetter vor dem Heidelberger Hauptbahnhof stehen, fühlen sich von allen falsch verstanden, mit ihrer Meinung allein gelassen und von den verlogenen Medien beobachtet und betrogen. Auf ihrer Homepage heißt es: „Wir fordern dazu auf, alle öffentlichen, privaten und sonstigen Berichte und Darstellungen über Krisen und Konflikte kritisch zu hinterfragen und vergleichend zu recherchieren.“ Damit sollten sie am besten bei sich selbst anfangen.




Bild: By Michael Tesch [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr

Freitag, 16. Januar 2015

Das Gespenst der Vorratsdatenspeicherung


Wie viel ist die Privatsphäre heute noch wert?
Eine Woche ist seit dem Anschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo vergangen. Frankreich beschäftigt sich mit den Hintergründen der Tat und mit der Frage, ob die französischen Sicherheitskräfte und Geheimdienste nicht mehr hätten tun können, da man doch so viel über die Täter wusste. Auch in Deutschland geht die Angst vor einem terroristischen Anschlag um. Ist unser Geheimdienst in der Lage Anschläge zu verhindern?

Das systematische Abspeichern von Telefon- und Internetdaten auf Vorrat ist in Berlin wieder in aller Munde. Wenn es allein nach der CDU und Innenminister Thomas de Maizière gehen würde, wäre die Vorratsdatenspeicherung schon morgen gesetzlich unter Dach und Fach. Unterstützung erhält die Union von den deutschen Sicherheitsbehörden, die der Meinung sind, dass die Vorratsdatenspeicherung eine höhere Sicherheit gewährleistet.

Die SPD und ihr Justizminister Heiko Maas sind da anderer Meinung und haben Bedenken, dass die Bürger ihrer Freiheitsrechte beraubt werden. „Ich lege keinen Gesetzentwurf vor, bevor der Europäische Gerichtshof endgültig geurteilt hat, ob die Richtlinie die Rechte der EU-Bürger verletzt oder nicht“, sagte er vergangene Woche in einem „Spiegel“- Interview.

Auch ohne Vorratsdatenspeicherung werden der Bevölkerung bereits seit längerem die persönlichen Daten entwendet. Daten werden zunehmend heimlich erhoben und für völlig andere Zwecke verwendet – insbesondere von der Wirtschaft. Dass man die einzelne Person jedes Mal um Erlaubnis bitten müsste, wenn ihre Daten anderweitig verwendet werden, als ursprünglich vorgesehen, interessiert die Wirtschaft reichlich wenig.

Die Datenspeicherung beginnt bereits im Internet, wo Internetseiten mit Hilfe von Cookies Daten über unser Surfverhalten sammeln. Insbesondere die Werbebranche ist daran sehr interessiert. Werbeunternehmen verwandeln diese Daten in Profile und verkaufen sie an die Wirtschaft. Die persönlichen Daten werden also über mehrere Schritte hinweg umgewandelt und zu Geld gemacht. Damit erklärt sich, weshalb vieles im Internet kostenlos zugänglich ist. Man bezahlt nicht mit Geld, sondern mit Daten.

Je mehr Daten, desto besser, denken sich heutzutage nicht nur Google und Co., sondern auch ganze Wirtschaftszweige. Die Erhebung und Verarbeitung von Daten ist die Währung der Zukunft. Generali, einer der größten europäischen Versicherungskonzerne, prüft mit dem sogenannten „Kreditscoring“ die Bonität seiner Kunden. Informationen über Wohnort, Beruf oder regelmäßiges Einkommen entscheiden über die Kreditwürdigkeit jedes Einzelnen. Das Unternehmen geht jetzt noch einen Schritt weiter. Es beschenkt seine Kunden mit Angeboten und Prämien, wenn sie sich nachweislich gesund verhalten. Generali macht das sicherlich nicht aus aufopfernder Nächstenliebe – gesunde Menschen sind für Versicherungen einfach rentabler. Eine App von Generali dokumentiert das Ernährungsverhalten, misst sportliche Aktivitäten oder zählt wie viele Schritte man gegangen ist. Umgekehrt bedeutet das, dass diejenigen, die ihre Privatsphäre wahren und daran nicht teilnehmen, drauf zahlen. Schließen „Scorewerte“ also irgendwann ganze Bevölkerungsgruppen aus? Erhält der weite Strecken zurücklegende Briefträger bessere Konditionen als die sitzende Sekretärin, obwohl sie sich nichts zu Schulden kommen lassen und bisher jeden Kredit zurückgezahlt hat?

Das Bezahlen mit Daten prägt bereits jetzt das Leben jedes Einzelnen und wird auch in Zukunft vermutlich nicht weniger werden. Im Zuge der Vorratsdatenspeicherung bezahlen wir nicht mit Geld, sondern mit unserem Recht frei und unbeobachtet kommunizieren zu können. In Frankreich ist die Vorratsdatenspeicherung bereits seit 2006 gesetzlich verankert. Die Terroranschläge in Paris konnten damit trotzdem nicht verhindert werden. In Deutschland wird das nicht anders sein.



Bild: Patrick Schulze [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr