![]() |
Wer sagt die Wahrheit, wer lügt? |
Montag, 20 Uhr in Heidelberg.
Eine Menschenansammlung steht vor dem Hauptbahnhof und lauscht aufmerksam der
Person am Mikrofon. Ein älterer Herr verteilt unter seinem aufgestellten
Pavillon Tee und Kekse. Keiner grölt hier herum, keine Reichsfahnen in
schwarz-weiß-rot werden hier geschwungen. Die Mahnwache in Heidelberg sieht
anders aus und wirkt auch ganz anders, als ihr Pendant in Berlin. Doch das
Thema ist dasselbe: Für den Frieden und gegen die Presse.
Xavier Naidoo hielt am Tag der
Deutschen Einheit vergangenen Jahres im Berliner Regierungsviertel eine Rede
über die von den USA besetzte Bundesrepublik und rief zum Widerstand auf. Das
Publikum bestand zum großen Teil aus der rechtspopulistischen Gruppe der Reichsbürgerbewegung. Diese Gruppe erkennt die Bundesrepublik Deutschland nicht an,
sondern glaubt an das Weiterbestehen des Deutschen Reiches mit den Grenzen von
1937. Außerdem behaupten sie, Deutschland befände sich unter der
Fremdherrschaft der USA. Auch wenn
Herr Naidoo vor seinem Auftritt sagte: „Ich habe keine Ahnung wer hier steht,
ich repräsentiere nur die Liebe“, kann man es ihm nicht ganz abkaufen, dass er
sich unbewusst auf die Bühne von Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern
gestellt hatte.
In Heidelberg geht alles etwas
ruhiger vonstatten. Knapp 20 Personen haben sich vergangenen Montag hier am
Heidelberger Hauptbahnhof eingefunden. Vom Handwerker mit Arbeiterhose und
Zollstab in der Tasche, bis hin zur älteren Dame mit Nerzfell um den Hals –
alle stehen sie gemeinsam hier, um für den Frieden zu protestieren. Normale
Leute, die sich Sorgen um ihre Zukunft und die ihrer Kinder und Freunde machen.
„Auch wir haben erkannt, dass man
uns manipuliert und hintergeht, denn unsere Medien belügen euch und unser
eigenes Volk“, heißt es in der Anfangsrede, die bei jeder Mahnwache von neuem
vorgetragen wird. Entstanden ist die Mahnwache in Heidelberg im Zuge
der Krim-Krise und den gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Ukraine.
Über eine Stunde stehe ich bei dieser Mahnwache für den Frieden, doch
eigentlich höre ich nur, wie über die Presse herzogen wird. Die Medien würden
viel zu wenig berichten und das was berichtet wird, ist gelogen. Ich komme ins
Gespräch mit Jürgen D. aus Heidelberg, der sich bei dieser Mahnwache als erster
vor das Mikro gestellt hatte.
Nachdem er am Anfang seines
Vortrags betrübt erwähnt, dass man jetzt ja nicht mehr Lügenpresse sagen dürfe,
setzt er zum Rundumschlag gegen die Medien an. Dass die erste Ausgabe von Charlie Hebdo nach den Anschlägen in
Paris so schnell ausverkauft war, hält er für eine gezielte Inszenierung der
Medien und dass man den Ausweis von einem der Attentäter in dem Fluchtwagen
gefunden hatte, mache ihn doch sehr stutzig. Nach seinem Vortrag frage ich ihn,
welche Medien ihn denn genau stören würden. Er antwortet: „Im Grunde genommen
der sogenannte Mainstream. Also ARD und ZDF und der größte Teil der
Tageszeitungen.“
Die Personen der Heidelberger
Mahnwache beziehen ihre Information lieber aus anderen Medien. Auf ihrer
Webseite wird unter „Alternative Berichterstattung“ die Internetplattform News23 gelistet. Neben dubiosen
Pressetexten und Video-Interviews mit Sprechern von PEGADA (Patriotische
Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes), gewährt auch das
Impressum der Seite einem interessante Einblicke. Im Impressum steht weder der Name einer Person oder einer Firma, sondern
eine Adresse in Uruguay. Das klingt schon mal verdächtigt. Gibt man die Adresse
in einer Suchmaschine ein, findet man dieselben Impressumsangaben für hundert
weitere Webseiten, unter anderem für Gesundheitstrainer, Computer-Dienste oder
Möglichkeiten für „Geld verdienen im Internet“. Seriosität sieht anders aus.
Auch die Buchtipps, die auf der
Internetseite der Heidelberger Mahnwache angepriesen werden, sind mehr als
fragwürdig. Neben Büchern wie „Wir sind
die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien
manipulieren“ oder „Die Jahrhundertlüge, die nur Insider kennen“, findet man
auch das Buch „Krieg in der Ukraine. Die Chronik einer geplanten Katastrophe“,
das vom Kopp-Verlag aus Rottenburg am Neckar vertrieben wird. Neben
einem Sammelbecken von Verschwörungstheoretikern und Pseudowissenschaftlern,
beherbergte der Kopp-Verlag auch eine Zeit lang die ehemalige
Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, die sich mit Äußerungen über Hitlers tolle
Familienpolitik 2007 ins Aus katapultierte. Passend dazu, postet die
Heidelberger Mahnwache regelmäßig Videos des Journalisten Ken Jebsen, der
weniger wegen seiner journalistischen Tätigkeiten für Aufmerksamkeit sorgte,
sondern eher durch seinen Rauswurf bei Radio Fritz 2011, als er den Holocaust
als eine PR-Erfindung bezeichnete.
Mit rechtem Gedankengut will die
Heidelberger Mahnwache nichts zu tun haben, auch wenn man auf ihrer
Internetseite das Positionspapier von Pegida herunterladen kann. Jürgen sagt,
die Medien wollen ihre Mahnwache in die rechte Ecke stellen. Er erzählt mir,
dass bei einer groß angelegten Mahnwache am Heidelberger Bismarckplatz
vergangen Sommer von den Medien gezielt Rechtsradikale platziert worden seien
und aus einem vorbeifahrenden Auto heraus Fotos gemacht worden sind, um die
Mahnwache als rechten Mob zu diffamieren. Was auf mich wie ein schlechter Witz
wirkt, bei dem ich zugegebener Maßen leicht schmunzeln muss, ist für Jürgen
hingegen bitterer Ernst.
Die Personen der Heidelberger
Mahnwache, die seit ihrer Gründung am 02. Juli 2014 jeden Montag bei Wind und
Wetter vor dem Heidelberger Hauptbahnhof stehen, fühlen sich von allen falsch
verstanden, mit ihrer Meinung allein gelassen und von den verlogenen Medien
beobachtet und betrogen. Auf ihrer Homepage heißt es: „Wir
fordern dazu auf, alle öffentlichen, privaten und sonstigen Berichte und
Darstellungen über Krisen und Konflikte kritisch zu hinterfragen und
vergleichend zu recherchieren.“ Damit sollten sie am besten bei sich selbst
anfangen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen