Sonntag, 15. Juni 2014

Anekdote der Woche


Schusswaffen, Kunst & der Jungbusch


Beliebt und berüchtigt - Der Jungbusch/Mannheim
Der Jungbusch - das Viertel in Mannheims Innenstadt in das man sich besser nur mit Schutzweste hineinwagt oder es am besten erst gar nicht betritt. Viele Vorurteile kursieren um das kleine Quartier am Verbindungskanal zwischen Neckar und Rhein. Manche davon sind wahr, manche sind es nicht.

Der Jungbusch zählte bis in die 1920er Jahre zu einem der bedeutendsten Handelsplätze im Mannheimer Industriehafen. Mit der zunehmenden Containerverschiffung verlor der kleine Verbindungskanal am Jungbusch zunehmend an Bedeutung und die großen Schiffe blieben fern. Folglich fehlten auch die Schiffer und Kapitäne, die bis dahin den Jungbusch belebten. Der Jungbusch musste sich  eine neue Einnahmequelle suchen und fand diese im vermeintlich ältesten Gewerbe der Welt - der Prostitution. Auch die Stationierung der US- amerikanischen Soldaten nach Ende des 2. Weltkriegs förderte die Entwicklung des Jungbuschs als Rotlichtviertel.

In den 60er Jahren fungierte der Rhein- Neckar- Raum als traditioneller Industriestandort als Pull- Faktor für die Zuwanderung von Arbeitsmigranten. Der Jungbusch galt als Auffangbecken für Migranten der ersten Generation, da die Wohnungen hier sehr billig waren. Der Grund dafür war, dass der Jungbusch von den Bombardierungen Mannheims im 2. Weltkrieg weitgehend verschont geblieben war. Die Wohnungen wurden Jahrzehnte lang nicht saniert, da große Teile der Stadt erst wieder neuaufgebaut werden mussten. Noch bis heute prägen die Migranten das Bild des Jungbuschs und sind mit einem Einwohneranteil von zwei Drittel klar in der Mehrheit.

Seit Anfang des Jahrtausends erhält der Jungbusch von Europa, vom Bund und von der Stadt Mannheim Fördergelder in mehrstelliger Millionenhöhe. Das Image des Viertels als Rotlichtmilieu und Drogenumschlagsplatz soll durch Modernisierungsmaßnahmen und unter Einbeziehung der Einwohner aufgewertet werden, damit sich neue Unternehmen wieder ansiedeln und Geld in die Stadtkasse gespült wird. Eines dieser Vorhaben wurde mit der Popakademie Baden- Württemberg und dem Musikpark, einem Existenzgründerzentrum für junge, kreative Nachwuchskünstler, verwirklicht.

Auch die Umgestaltung der stillgelegten Kauffmannmühle zu einem Gebäude mit überteuerten Wohnungen (ca. 3000 Euro pro Quadratmeter) und Showrooms für die etablierte Künstlerszene tragen ihren Teil zum Imagewechsel des Jungbuschs bei.
Linke Gruppen haben allerdings in der Vergangenheit mit Demonstrationen und Häuserbesetzungen versucht auf die negativen Konsequenzen aufmerksam zu machen. Sie prangen vor allem die im Jungbusch angesiedelte Musik- und Kunstindustrie an, die durch ihre Kommerzialisierung einen Ausverkauf des Viertels und die Verdrängung der sozial schwächeren Gruppen vorantreibt.

Die Studentenwohnheime der Popakademie, die Künstlervereine und der Rest des Jungbuschs sind zwar nah beieinander, aber sozialräumlich sehr getrennt. Hinter der Aufwertung des Viertels stehen große Initiativen mit hohen Investitionen. Die einzigen die davon allerdings nicht profitieren sind die Anwohner; und das sind größtenteils die Migranten.
In einem Gespräch mit der Halb- Amerikanerin und original „Jungbuschlerin“ Jane Robinson erzählt diese, dass sie es als positiv empfindet, dass die Studenten wieder frischen Wind in den Jungbusch bringen und sich das Bild des Viertels zunehmend verbessert. Trotzdem stören sie die erhöhten Mieten und dass an manchen Ecken einfache Kneipen gehoberen Lokalen weichen müssen.

Auch die folgende Aussage der Geschäftsführerin eines Kunstvereins in der Hafenstraße wirft Zweifel über den Imagewandel des Viertels auf:

„Wir zeigen zeitgenössische experimentelle Kunst im bildenden und darstellenden Bereich. Das ist nichts, was jetzt direkt mit den Bewohnern die hier sind zu tun hat und von daher eben auch ganz andere Menschen hierher zieht.“

Es stellt sich die Frage, was möchte man aus dem Jungbusch eigentlich machen? Will man hier das Image gemeinsam mit den „Ureinwohner“ und den Migranten  verbessern, oder will man so lange die Mieten erhöhen und Kunsttätigkeiten ansiedeln bis nur noch eine entsprechendes Klientel hier lebt? (Stichwort: Gentrifizierung)

Original „Jungbuschlerin“ Jane Robinson glaubt nicht daran, dass der Jungbusch mit seinem multikulturellen Flair ausstirbt. Und falls doch, tut sich mit Sicherheit irgendwo anders ein neuer Jungbusch auf. Eine interessante Sichtweise und auch gar nicht so unwahrscheinlich.  Vor ein paar Jahren zum Beispiel galt man noch als hip und cool wenn  man nach Berlin- Kreuzberg zog. Mittlerweile liegt man im Trend, wenn man in Neukölln wohnt. Darüberhinaus gibt es dort auch billigere Wohnungen; doch wer weiß wie lange noch.

Und was kommt danach? Ist es irgendwann hip und cool ins Märkische Viertel oder nach Marzahn zu ziehen und dort die ursprünglichen Einwohner mit überteuerten Mieten zu verjagen? Und wo ziehen eigentlich diejenigen hin, die die immer weiter steigenden Mieten in den Vierteln nicht mehr bezahlen können? Diese Frage bleibt offen.

Letzten Freitag um 17 Uhr wurden im Jungbusch bei Auseinandersetzungen zwischen verschiedener Gruppen mehrere Personen verletzt. Laut Polizei gab es 11 Verletzte, vier davon mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Bei den Kämpfen wurde nach Zeugenaussagen auch von Schusswaffen Gebrauch gemacht.

Also doch wieder mit Schutzweste zur Kunstvernissage gehen oder gar nicht erst den Jungbusch betreten?


Der Jungbusch und seine Bewohner vollziehen zurzeit einen Wandel der bei falscher Handhabung auch schief gehen kann. Vielleicht sollte man irgendwann aufhören jede Gegend so umzugestalten, dass nur noch Menschen mit viel Geld dort leben können. Manche Gegenden wie der Jungbusch haben ihren Charme doch auch, wenn man sie einfach lässt wie sie sind. Verrucht, auch ein bisschen dreckig, aber schön.






 Bild: By Bildbunt [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen